und empfangend, nicht im mindesten gemeint des Freundes Eigenart
zu stören. Dort der verwöhnte Lieblingssohn des Glücks, mit Rang
und Reichtum, Schönheit und Gesundheit verschwenderisch ausgestattet;
hier der Hartgeprüfte, der jahrelang mit Krankheit und Entbehrung
kämpfte und dabei in seinem Gemüte so stolz und frei blieb, daß
keine Zeile seiner Werke die gemeinen Nöte seines Lebens erraten
ließ. Der eine verweilte gelassen in sich selber, ganz unbekümmert
um den Erfolg des Augenblicks; er ließ die goldenen Früchte seiner
Dichtung ruhig reifen, bis er sie zur guten Stunde mit einem
Drucke der Hand vom Aste brach; die deutsche Sprache offenbarte
ihm ihre holdesten Geheimnisse, folgte gelehrig jedem Winke des
Meisters; aus den Tiefen einer ewig frischen und lauteren Phan-
tasie, aus den Weiten eines unermeßlichen Wissens strömten ihm
die Bilder und Gedanken ungesucht von selber zu. Den anderen
durchglühte ein edler Ehrgeiz: er wollte siegen, jetzt und hier, er
wollte die lichten Gedanken, die ihm das Herz bewegten, groß und
prächtig ausgestalten, die träge Welt hinreißen, daß sie daran glaube
und „allen Unrat der Wirklichkeit“ von sich schüttle; er nutzte jede
Stunde, wie im Vorgefühl des nahen Todes, wußte die Lücken
seiner minder vielseitigen Bildung durch rastlosen Fleiß immer zur
rechten Zeit auszufüllen und als ein umsichtiger königlicher Haus-
halter jedes Wort aus seinem minder reichen Sprachschatze sicher und
wirksam zu verwerten; den letzten Hauch seines feurigen Willens
setzte er ein, bis ein erhebender und erschütternder Schluß gefunden
war, während Goethe gemächlich so manchen herrlichen Torso halb
behauen liegen ließ.
Dem wesentlich lyrischen Genius Goethes wurde jede Dichtung
zum Bekenntnis, doch mitten in der Erregung des subjektiven Ge-
fühls erhielt er sich immer jene „gutmütige, ins Reale verliebte
Beschränktheit“, die er so gern als den unschuldigen produktiven Zu-
stand des naiven Dichters pries. Wenn er mit seinen inneren Er-
fahrungen abschloß, so blieben die Leser stets in dem holden Wahne,
als ob er ganz verschwände hinter den Gestalten, die von dem Blute
seines Herzens getrunken hatten. Schillers dramatisches Genie schritt
253