kühner in die objektive Welt hinaus. Suchend und wählend griff
er oft nach Stoffen, die mit seinem inneren Leben ursprünglich
nichts gemein hatten; aber wenn diese fremden Gestalten erst unter
seinen bildenden Händen erwarmten, dann blies er sie an mit dem
Odem seines eigenen heldenhaften Wesens und ließ sie das hohe
Pathos seiner eigenen feurigen Empfindung so mächtig, so unmittel-
bar aussprechen, daß die Hörer immer nur seine Stimme zu ver—
nehmen glaubten und ihn für einen subjektiven Dichter hielten.
Beide Dichter verbanden mit der traumgängerischen Sicherheit des
Genius die dem gesamten Zeitalter eigentümliche klare Bewußtheit
des Denkens, sie liebten, sich und anderen Rechenschaft zu geben
von den Gesetzen ihrer Kunst. Beide suchten die große Aufgabe
der Zeit nicht in der ästhetischen Kultur allein; als Staatsmann,
Naturforscher und Psycholog wirkte der eine, als Historiker und
Philosoph der andere für die Vertiefung und Läuterung einer all-
seitigen Bildung. Beide fühlten sich eins mit ihrem Volke; sie
ahnten es wohl, daß ihre Werke dereinst noch auf fremdem Boden
Frucht bringen sollten, doch sie wußten auch, daß sie dem deutschen
Leben ihre eigenste Kraft verdankten und das volle, innige, un-
willkürliche Verständnis nur da finden konnten, wo deutsche Herzen
schlugen: „Im Vaterlande schreibe was dir gefällt! Da sind Liebes-
bande, da ist deine Weltl!“
Es gereicht aber der deutschen Rechtschaffenheit zur Ehre, daß
selbst in diesem Zeitalter der ästhetischen Weltanschauung Schiller
in der Gunst des Volkes höher stieg, als sein größerer Freund.
Der Durchschnitt der Menschen erhebt sich nicht über den stofflichen
Reiz der Dichtung, darum darf er auch die einseitig moralische
Schätzung der Kunst nicht ganz ausgeben. Einem gesunden Volke
mußte Posas edle Schwärmerei und die Hochherzigkeit Max Pic-
colominis teurer sein als das lose Treiben der Philinen und
Mariannen. Nur reiche Gemüter blickten dem tiefen Strome der
späteren Goethischen Dichtung bis auf den Grund, nur den Lebens-
kundigen ging das geheimnisvolle Leben seiner Gestalten auf, nur
sinnige Naturen erkannten in seinen proteischen Wandlungen den
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