Full text: Auswahl für das Feld.

sich ein in die klassische Formenwelt und ward im Altertum hei— 
misch wie niemand seit Winckelmann. Nach den neuen Anschau— 
ungen, die ihm dort zuströmten, formte er nun die in den letzten 
zehn Jahren still empfangenen Werke und überraschte die Nation 
durch eine Reihe von Dichtungen, welche mit der Anschaulichkeit 
und der Lebenswärme seiner Jugendschriften eine den Deutschen 
noch ganz unbekannte stilvolle Hoheit und getragene Würde ver- 
banden. Doch er mußte erfahren, daß die Masse der Leser seinem 
neuen Stile noch nicht folgen konnte und weder die zarte sinn- 
volle Schönheit der Iphigenia, noch die verhaltene tiefe Leiden= 
schaft des Tasso recht verstehen wollte. Die Deutschen verloren 
den Dichter ganz aus den Augen, da er jetzt „in seiner Dachs- 
höhle“ sich vergrub und durch jahrelange Forschung und Betrach- 
tung ein Vertrauter der Natur wurde. Er wagte sich an das 
titanische Unternehmen, schrittweis aufsteigend von der einfachsten 
zu der höchsten Organisation die ganze Natur zu verstehen und 
verstehend mit ihr zu leben. Und dies wissenschaftliche Erkennen, 
„nie geschlossen, oft geründet“, war zugleich künstlerische Anschauung; 
er gab sich der Natur hin mit allen Kräften seiner Seele, so innig, 
so liebevoll, daß er seine geologischen Studien mit Recht „meine 
Erdfreundschaft“ nennen durfte. Die Forschung beirrte ihn nicht, 
sie bestärkte ihn in der naiven Weltanschauung des Dichters, der 
immer den Schwerpunkt der Welt im Herzen des Menschen sucht. 
Das All belebte sich vor seinen ahnenden Blicken, und indem er 
erkannte, wie das Ewige sich in allen Wesen fortregt, hielt er nur 
um so freudiger den Glauben fest an das selbständige Gewissen, 
die Sonne unseres Sittentages. Seit er den Gott ahnte, der die 
Welt im Innersten bewegt, erschien die heitere Weltfreudigkeit 
seines Dichtergeistes verklärt durch die Weihe einer frommen, hei- 
ligen Andacht: „strömt Lebenslust aus allen Dingen, dem kleinsten 
wie dem größten Stern, und alles Drängen, alles Ringen ist ew'ge 
Ruh in Gott dem Herrn!“ 
Unterdessen hatte Schiller, wie er selbst gesteht, im Poetischen 
einen völlig neuen Menschen angezogen und durch ernste philo- 
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