bewegen sich bald in der schweren Stickluft unfreier, armseliger
Kleinstädterei, bald in dem dünnen Ather idealer Bedürfnislosig—
keit, wo die Menschenbrust nicht mehr atmen kann. Die Schwär—
merei seiner warmherzigen Menschenliebe gibt ihm doch keinen festen
sittlichen Halt; nach Lust und Laune rüttelt er in frivolem Spiele
an den ewigen Gesetzen der sittlichen Welt, um nachher wieder in
verhimmelten Gefühlen zu schwelgen und seine Liebenden „im kurzen
seligen Elysium des ersten Kusses wohnen“ zu lassen. Das un—
sichere Stilgefühl der Leser gestattet seinem Humor jede Willkür;
ungescheut läßt er der natürlichen Formlosigkeit des deutschen Geistes
die Zügel schießen, verrenkt die Sprache und überladet sie mit
schwülstiger Künstelei.
Goethes klaren Blicken entgingen die sittlichen Gefahren der
ästhetischen Weltanschauung nicht; warnend hat er der Jugend zu-
gerufen: „daß die Muse zu begleiten, doch zu leiten nicht versteht!“
Aber ein reiches Geschlecht war es doch das so zügellos dem
Drange seines Herzens nachging. Alle Schleusen des deutschen
Genius schienen aufgezogen: unsere Musik erlebte ihr klassisches.
Zeitalter, in der Philologie schlug F. A. Wolf, in den bildenden
Künsten Asmus Carstens neue kühne Bahnen ein. Selbst die
gesellige Anmut, die sonst deutscher Wahrhaftigkeit wenig zusagt,
kam in den Kreisen der Auserwählten zu reizender Entfaltung;
geistreicher, verführerischer als in Caroline Schellings Briefen hat
Weiberliebe und Weiberbosheit selten geredet. Und wie mochte
man ohne Freude den edlen Fürsten betrachten, der all diese großen
Menschen frei gewähren ließ, der sie alle verstand und dabei so
fest und stattlich sich selbst behauptete? Ganz unbekümmert stürmte
Karl August ins junge Leben, bis eigene Erkenntnis, nicht frem-
der Rat ihn lehrte, „nach und nach die freie Seele einzuschränken“.
Wenn die altfranzösischen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne,
damal= zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des
alten Königtums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wisse nicht
was leben heißt, so konnten Deutschlands Dichter und Denker mit
besserem Rechte das gleiche von ihrem goldenen Zeitalter sagen.
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