Full text: Auswahl für das Feld.

die Zahl der Eitlen, der Lüsternen, der Überbildeten bedenklich zu. 
Der Sturm und Drang, dessen das aufsteigende Dichtergeschlecht 
sich rühmte, war nicht mehr naive jugendliche Leidenschaft, sondern 
zeigte bereits den Charakter des Epigonentums. Statt der ein- 
fältigen Lust am Schönen herrschte ein krankhafter Ehrgeiz, der 
um jeden Preis das Niedagewesene leisten wollte, und treffend 
sagte Goethe von seinen Nachfolgern: „sie kommen mir vor wie 
Ritter, die, um ihre Vorgänger zu überbieten, den Dank außer- 
halb der Schranken suchen“. 
Die dichterische Kraft der Romantiker blieb weit hinter ihren 
großen Absichten zurück; schon den Zeitgenossen fiel es auf, daß 
ihre Phantasie immer laut rauschend mit den Flügeln schlug ohne 
je in rechten Schwung zu kommen. Ihre Führer waren, obgleich 
sie hochmütig lärmend auf das Recht des Genies zu trotzen liebten, 
mehr feingebildete Kenner als schöpferische Dichter, ihre Kunst mehr 
ein absichtliches Experimentieren als unbewußtes Schaffen; statt 
jener Goetheschen „Verliebtheit ins Reale“ sollte die Ironie, die 
Todfeindin aller Naivität, jetzt die echte poetische Stimmung sein. 
Der schöne Ausspruch: edle Naturen zahlen mit dem, was sie sind 
— diente der anmaßlichen Unfruchtbarkeit zum Lotterbette. Spie- 
lende Willkür verwischte die Grenzen aller Kunstformen, verdarb 
die Keuschheit der Tragödie durch Operngesänge, führte die Zu- 
schauer als Mitredende in die dramatische Handlung ein, brachte 
die unverständlichen Empfindungen entlegener Völker und Zeiten 
auf die Bühne, die doch stets im edlen Sinne zeitgemäß bleiben 
und nur darstellen soll, was die Hörer mitfühlen. Die Sprache 
war nunmehr, nach Schillers Worten, durch große Meister so weit 
gebildet, daß sie für den Schriftsteller dichtete und dachte; das junge 
Geschlecht mutete ihr das Unmögliche zu, sang von klingenden Farben 
und duftenden Tönen. Die Schranken zwischen Poesie und Prosa 
stürzten ein, die Dichtung erging sich in Betrachtungen über die 
Kunst, die Kritik in phantastischen Bildern. Die Kunst war Wissen- 
schaft, die Wissenschaft Kunst; alle Offenbarungen des Seelenlebens 
der Menschheit, Glauben und Wissen, Sage und Dichtung, Musik 
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