gefehlt, er atmet selbst in dem schwermütigsten Gedichte, das je in
den Nebeln Alt-Englands ersonnen ward, in Walter Raleighs
„the lye“. Hebbel wußte wenig von solcher Hoffnung. Wie
er, der Konservative, nicht daran dachte, im Leben an der Heilung
der kranken Welt mitzuwirken, so vermögen auch seine Gedichte,
obwohl sie dann und wann von künftiger Versöhnung reden, von
der Lebendigkeit dieses Glaubens nicht zu überzeugen. Die furcht-
bare Anklage, die er in einem abscheulichen Sonette gegen die
menschliche Gesellschaft schleudert: „der Mörder braucht die Faust
nur hin und wieder, du hast das Amt zu rauben und zu töten“
— sie ist nicht ein wilder Ausbruch augenblicklichen Unmuts, sie
blieb durch lange Jahre die Grundstimmung seiner Seele. Er
erkannte mit eindringender Klarheit die Gebrechen der Welt, doch
er verzweifelte an der Heilung. Ganz unerträglich wird diese Ver-
bitterung des Gemüts, wenn Hebbel seinem eigenen Worte zum
Trotz „die Kirsche vom Feigenbaum fordert“ und seiner düsteren
Phantasie die hellen Klänge der Komödie zu entlocken sucht.
Er gesteht, daß er mit seinen Gedichten „seiner Zeit ein künstle-
risches Opfer dargebracht“ habe; und gewiß, einige der Ideen,
welche das moderne Deutschland bewegten, fanden in den Werken
dieses Dichters einen treuen und großartigen Ausdruck. Doch ge-
rade die schönste und herrlichste Erscheinung unserer Tage, recht
eigentlich die Signatur der neuen Zeit, das Emporwachsen unseres
Volkes zum staatlichen Leben, blieb diesem verdüsterten Auge ver-
borgen. Er sah in der Entwicklung unseres Volkes „nicht eine
Lebens= sondern eine Krankkheitsgeschichte. Nun warf ihn sein
Unstern unter das verkommene Deutschtum in Osterreich; „wir und
germanisieren!“ rief er hohnlachend. Die frohe Botschaft des Jahr-
hunderts, die Verjüngung der antiken Sittlichkeit, welche von jedem
Menschen, auch von dem Künstler, zugleich die Tugenden des
Bürgers fordert — an ihm fand sie einen tauben Hörer. Selbst
die Dichtungen unserer kosmopolitischen klassischen Zeit tragen die
Spuren der politisch-nationalen Kämpfe der Epoche weit deutlicher
auf der Stirn als Hebbels Werke die Eindrücke der Gegenwart.
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