Kunstwerk muß immer die letzte Zeile die erste rezensieren“. Er
ist wirklich gewachsen mit seinem Volke, das er nie ganz würdigte,
er befreundete sich als reifer Mann mit den einfachen Idealen,
die er einst mißachtet, er lernte die Größe des edelsten unserer
Dramatiker schätzen und schuf endlich jene hochpoetischen Gestalten
der Nibelungen, die nicht mehr angekränkelt sind von der Blässe
des Gedankens. Von diesen letzten Werken des Dichters fällt ver-
klärend ein Lichtstrahl zurück auf die unfertigen Dichtungen seiner
früheren Zeit. Kein Zweifel mehr: der friedlose Sinn, der aus
Hebbels älteren Dramen spricht, ist nicht die blasierte Ironie der
Romantiker, nicht die zuchtlose Frivolität, der buhlerische Welt-
schmerz der Jungdeutschen, er ist der tiefe und wahre Schmerz
eines starken Geistes, der erst nach harten Kämpfen eine Versöh-
nung finden konnte, welche der Glückliche, der Gedankenarme mühe-
los erreicht. — Der Dichter wies in seinem Eigensinne jede Kritik
der Wahl seiner Stoffe zurück, weil „das einmal lebendig Ge-
wordene sich nicht zurückverdauen“ lasse. Heute, da wir sein Schaffen
im Ganzen überschauen, wird uns das Körnlein Wahrheit deutlich,
das in diesem anmaßenden Ausspruch liegt; auch in den seltsamsten
Experimenten des Poeten läßt sich eine gewisse Notwendigkeit
nicht verkennen.
Wir gehen rasch hinweg über Hebbels erste Novellen, die in
der Art des Humors an Jean Paul, in der Hast der Darstellung an
Heinrich Kleist erinnern. Wie seltsam verkannte der Dichter sein
ganz und gar nicht populäres Talent, wenn er hoffte, seine nieder-
ländische Geschichte „Schnock“ werde im Bauernkittel von Fließpapier
auf den Jahrmärkten feilgeboten werden; den derben Ton herz-
haften Spaßes, den der Bauer verlangt, findet dieser Poet des
Gedankens nicht.
In seinem ersten Drama Judith versucht Hebbel in der Seele
der epischen Heldin der Bibel einen Bruch, einen Kampf hervor-
zurufen, er will uns an ihr das Recht des Weibes auf wahre Liebe
zeigen und dergestalt den Liebling starkgeistiger Maler und Poeten
dem modernen Bewußtsein verständlich machen. Freilich wird das
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