Full text: Auswahl für das Feld.

Form darstellen, des Hörers Lachmuskeln zucken und zugleich ihn 
vor Grausen erstarren machen soll. Das heißt doch nur die ge— 
meine Prosa des Alltagslebens geradeswegs in die Kunst einführen. 
Das tragische Geschick in untragischer Form stöhnt und ächzt auf 
allen Märkten; ihm die tragische Form zu finden, ist des Dichters 
schönes Recht. Hebbels feiner Formensinn hat ihn davor bewahrt, 
den unglücklichen Gedanken weiter zu verfolgen. Auch ein anderes 
Experiment dieser Zeit blieb liegen. In der Tragödie „Moloch“ 
wollte der Dichter „ein Volk stammeln lassen“, die Uranfänge der 
menschlichen Gesittung, die Entstehung der Religion darstellen — 
ein Versuch, der mit ungemeiner dichterischer Kraft begonnen, schließ- 
lich doch in undramatischer Symbolik verlaufen mußte. Wiederum 
in den zerfressenen italienischen Verhältnissen wurzelt das Schauspiel 
Julia — eine Schilderung moderner Blasiertheit und Verworfen- 
heit, wie sie nur einem völlig umnachteten Auge erscheinen konnte, 
ein Drama ohne Abschluß, ohne jedes Interesse, gerade darum 
gefährlich und unsittlich, weil Hebbel die unnatürliche, kläglich-senti- 
mentale Handlungsweise seines Helden, der sich selber eine wandelnde 
Leiche nennt, als eine sittliche darstellen, sittlich erhebend durch das 
abgeschmackte Drama wirken will. « 
Das waren böse Tage für Hebbel, da sein Selbstgefühl im 
selben Maße wuchs, wie die Teilnahme der Leser sich ihm ent- 
fremdete. Selbst die Freunde fragten verwundert, ob er denn aus 
dem ewigen Rom nichts anderes davongetragen habe als die feine 
Durchbildung der Form, welche fortan alle seine Gedichte auszeich— 
nete. Auch das bedeutendste Drama dieser unseligen Periode 
ist ein Werk des kalten Verstandes. „Herodes und Mariamne“ 
schildert das Judentum in seiner Selbstauflösung und ist zugleich 
eine Tragödie der ehelichen Treue; so bildet es ein Gegenstück zur 
Judith und zur Genoveva. Herodes kann es nicht ertragen, daß 
sein Weib ihn überlebe, zweimal stellte er sie, während er zu ge- 
fahrvollen Fahrten verreist, unter das Schwert des Henkers. Gegen 
solchen Zwang sträubt sich der Stolz der Gattin, denn „das kann 
man tun, erleiden kann man' nicht“. Und dieser bei aller Seltsam-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.