Jugendtraum in der Sehnsucht der Menschen lebten und moderne
Diplomatenkunst die ritterliche Vasallentreue zu verdrängen begann.
So war das Eis gebrochen, und die gesunde freudige Stimmung
hielt an. Das gemütvolle Versmaß, das uns Deutschen wie ein
liebes altes Märchen zum Herzen redet, das Metrum der deutschen
Reimpaare, ward von Hebbel glücklich benutzt für das kleine Künstler-
drama Michel Angelo. Diese geistreiche Behandlung einer sinnigen
Anekdote gewährt manchen tiefen Einblick in die Geheimnisse künst-
lerischen Schaffens; und doch ist genug Handlung in dem Stücke,
um selbst auf der Bühne Interesse zu erregen. Mögen andere
rügen, daß die Schilderung der Kunstfreunde und dilettierenden
Künstler sich von tendenziöser Bitterkeit nicht frei hält und sehr
deutlich an des Verfassers eigne Fehden mit der Kritik erinnert;
mögen sie tadeln, daß die Gestalt des Raphael, wie fast alles Holde
und Milde bei Hebbel, ganz schattenhaft gehalten ist: — uns wider-
steht es, an einem erfreulichen und mit Unrecht vergessenen Werke
zu mäkeln. Dieser Michel Angelo lebt wirklich ein hohes Lob,
da die allzu verbreitete Kenntnis der Kunstgeschichte hier der freien
Tätigkeit des Dichters schwer beengende Fesseln anlegte. Mancher
akademisch korrekte Künstler wird an dem jugendfrischen, vielsagen-
den Worte „die Ordnung, mein' ich und bleibe dabei, beginnt erst
bei der Staffelei“ seine eigene Hohlheit erkennen; mancher, der
Hebbel mit Mißwollen betrachtet, wird aus diesen einfachen Szenen
den heiligen Ernst des Schriftstellers begreifen.
Noch einmal, in der Tragödie Gyges und sein Ring, hat Hebbel
einen Schatz von Formenschönheit und Kunstverstand an einen un-
dankbaren Stoff verschwendet. Der Dichter versteht, uns in die
Atmosphäre längst entschwundener Zeiten zurückzuzaubern, „an den
alten Nil, wo gelbe Menschen mit geschlitzten Augen für tote
Könige ew'ge Häuser bau'n“. Wo nicht stellenweise eine allzu
moderne Bewußtheit der Sprache uns die Stimmung verdirbt,
steht sie wirklich farbenprächtig vor uns, die reiche Wunderwelt
des Herodot, die mit der Fülle ihrer reinmenschlichen Konflikte
unseren Poeten ein so dankbares Feld eröffnet. Dennoch wird
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