einer völlig neuen Erscheinung in der politischen Geschichte machen
wird: die unausrottbare Liebe des Deutschen zur persönlichen Frei-
heit. Gar mancher wird hier lächeln und uns die bittere Frage
einwerfen: wo denn die Früchte dieser Liebe seien? Und gewiß,
errötend stehen wir vor jener stattlichen Reihe von rechtlichen
Schutzwehren, welche die angelsächsische Rasse ihrer persönlichen
Freiheit errichtet hat. In einer langen Zeit der Entwürdigung
hat der deutsche Charakter sehr, sehr viel verloren von jener ein-
fachen Großheit, die unser Mittelalter zeigt. Wer die Geschichte
des Deutschen Bundes näher kennt, muß tief beschämt gestehen:
Tausende, viele Tausende niederträchtiger Denunziantenseelen und
noch weit mehr untertänige Leisetreter hat dies edle Volk erzeugt
während zweier Menschenalter. Doch wer das Volksleben als ein
Ganzes überschaut, entdeckt notwendig Spuren der Kraft und Ge-
sundheit, welche ihm die gehässige Verbitterung des Urteils ver-
bieten. Wenn wir, wohin wir treten in der Fremde, der Kälte
oder einem noch tiefer verletzenden Mitleid begegnen, so dürfen
wir uns wohl jeder Anerkennung unserer staatlichen Befähigung
freuen, welche uns, aufrichtig weil unwillkürlich, aus fremdem
Munde gespendet wird. Mill ist weit davon entfernt, unser Volk
zu vergöttern; er fühlt, wie man ihm nicht mit Unrecht nachge-
sagt, im stillen seine nahe Verwandtschaft mit dem deutschen Ge-
nius, aber er fürchtet die Schwächen unseres Wesens, er vermeidet
geflissentlich zu tief in die deutsche Literatur einzudringen und hält
sich an französische Muster. Und derselbe Mann gesteht: in keinem
anderen Lande außer Deutschland allein ist man fähig, die höchste
und reinste persönliche Freiheit, die allseitige Entwicklung des
Menschengeistes zu verstehen und zu erstreben!
Unsere Wissenschaft ist die freieste der Erde, sie duldet einen
Zwang weder von außen noch von innen; ohne jede Voraus-
setzung sucht sie die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Die Recht-
haberei unserer Gelehrten ward sprichwörtlich, doch sie verträgt
sich sehr wohl mit der unbefangenen Anerkennung der wissen-
schaftlichen Bedeutung des Gegners. Trotz des Kastengeistes, der
26