heiten sind Gemütswahrheiten, für den Gläubigen ebenso sicher,
ja noch sicherer, als was sich messen und greifen läßt, doch für
den Ungläubigen gar nicht vorhanden; die Religion ist ein sub—
jektives Bedürfnis des schwachen Menschenherzens und eben darum
kein Gegenstand des Meinungskampfes. Denn über des Menschen
sittliche Würde entscheidet nicht, was er glaubt, sondern wie er
glaubt. Allzuoft haben wir erlebt, wie ein und derselbe Glaube
den einen zum Größten begeisterte, den anderen in widrige Ge—
meinheit stürzte.
Über diese Fragen denken die kühneren Geister der Gegenwart
radikaler, als das achtzehnte Jahrhundert. Die Philosophen jener
Epoche meinten zumeist, ohne Glauben an Gott und Unsterb-
lichkeit bestehe echte Tugend nicht. Die Gegenwart bestreitet dies,
sie erklärt rund und nett: die Sittlichkeit ist unabhängig vom
Dogma. Wir haben inzwischen gelernt, wie grundverschiedene
Dinge unter dem Namen der Unsterblichkeit begriffen werden. Daß,
wie wir das Schaffen großer Männer und ganzer Völker hand-
greiflich fortwirken sehen von Geschlecht zu Geschlecht, so auch der
schwächste Sterbliche ein notwendiges Glied ist in der großen
Kette der Geschichte, daß darum keine unserer Taten ganz verloren
geht, keine wieder zu vertilgen ist durch äußerliche Buße — dieser
Gedanke ist allerdings die Grundlage jeder streng gewissenhaften
Sittlichkeit. Diese Unsterblichkeit soll der Mensch — nicht glauben,
denn wer darf beim Glauben von einem Sollen reden? —
sondern ernst und klar erkennen. Wer den Mut dazu nicht findet,
wird durch die Unsicherheit seines sittlichen Verhaltens die Buße
zahlen. Wie anders der Glaube an ein bewußtes Dasein nach
dem Tode! Unser Wissen über diese Frage bleibt bisher noch
unzureichend, sie fällt noch nicht in das Gebiet des Erkennens,
und ebendeshalb hat die Uberzeugung von einer Fortdauer nach
dem Tode mit unserem Glücke, unserer Tugend an sich nicht das
mindeste gemein. Für schwache oder gemeine Naturen kann der
Glaube an ein Jenseits ebensowohl eine Quelle der Unsittlichkeit
werden wie das Leugnen derselben. Wenn es Menschen gibt,
3 H. v. Treitschke, Feldausgabe
33