so unerschütterlicher Festigkeit des Gemütes segnete? — Diese hu—
mane Auffassung der Religion entbehrt offenbar des Triebes,
neue kirchliche Genossenschaften zu gründen, sie sieht in dem Christen-
tume das unvergleichlich wichtigste Element der modernen Kultur,
aber doch nur ein Kulturelement, das mit anderen des antiken
Heidentums sich vermischen und vertragen muß.
Täuschen wir uns nicht, die Kultur der Gegenwart ist durch
und durch weltlich. Die Kirche, weiland der Bannerträger der
Gesittung, ist heute unzweifelhaft ärmer an geistigen Kräften als
der Staat, die Wissenschaft, die Volkswirtschaft. Durch jahrhun-
dertelange Arbeit ist ein Schatz weltlicher Kenntnis und Erkenntnis
aufgestapelt worden, welcher alle Denkenden in schönem Frieden
verbindet und sicherlich weit bedeutsamer ist als jene Dogmen,
welche die Menschen trennen. Der deutsche Katholik — wenn er
nicht zu dem kleinen herrschsüchtigen Kreise derer zählt, welche sich
als „römische Bürger“ gebärden — unser Katholik steht dem
deutschen Protestanten auch in seinen religiösen Vorstellungen näher
als dem spanischen Katholiken. Die ungeheure Mehrzahl der
Menschen lebt heute unbefangen ihren endlichen Zwecken, und sie
hat darum nichts an Sittlichkeit verloren, denn im irdischen Wirken
erprobt sich die echte Tugend. Dieser Weltsinn der modernen
Welt bricht endlich jedem konfessionellen Fanatismus die Spitze
ab. Wie oft haben eifrige Protestanten versichert, es sei unmög-
lich eine Kirche im Staate zu dulden, welche sich für die allein-
seligmachende ausgibt; und wie wenig hat die Erfahrung dies
bestätigt! Wohl zeigt das kirchliche Leben der Gegenwart so un-
geheure Gegensätze, daß sorgenvolle Gemüter verzweifelnd fragen,
wie so grundverschiedene Bestrebungen sich je versöhnen sollen.
Abermals träumt der Stuhl von Rom von den Tagen, da die
weite Erde römisch sein wird, er gründet von neuem jene Bis-
tümer, welche die Reformation beseitigt hat, er verkündet ungescheut
die ungeheuerlichen Grundsätze heidnischen Gewissenszwanges. Und
zur selben Zeit schreitet eine mächtige Richtung des Protestantis-
mus bereits weit über Luther und Calvin hinaus, sie stellt die
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