Full text: Auswahl für das Feld.

zweideutigen Wortes nachforschen, daß jedes Volk seine geistigen 
und leiblichen Bedürfnisse auf die Dauer wirklich befriedige. Das 
sagt in Wahrheit nur: von den unvergänglichen menschlichen Gütern, 
an Freiheit, Wahrheit, Schönheit, Liebe erwirbt jedes Volk genau 
so viel, als es durch eigene Kraft zu erringen und zu bewahren 
weiß. Ganze Jahrhunderte, ganze Völker kamen und gingen, 
welche große, fruchtbare Wahrheiten fanden, aber nicht zu bewahren 
wußten in dem harten Kampfe mit den Mächten der Trägheit 
und der Lüge. Wandelt es nicht noch unter uns, jenes Haus 
Habsburg, dessen gesamte Geschichte mit unvergeßlichen Zügen 
verkündet, wie die Macht der rohen Gewalt ein Herr werden kann 
über den Geist? Darum sollen wir wachen und streiten, daß die 
Wahrheit, welche nur für die ganze Menschheit unverlierbar ist, 
jetzt und hier, in dieser Spanne Zeit, unter dieser Handvoll Men- 
schen, die wir unser nennen, zur Geltung gelange und ihrer Frei- 
heit genieße. 
Aber warum in unseren aufgeklärten Tagen solche Gemeinplätze? 
Ist nicht ein uraltes Kleinod unseres Volkes, sind nicht die deut- 
schen Hochschulen recht eigentlich auf dieser Freiheit der Meinung 
begründet, für das Platzen der Geister aufeinander geschaffen? 
So höre ich manchen erwidern. Mich aber gemahnt es an ein 
böses Wort, das ein geistvoller deutscher Gelehrter einst zu mir 
sprach — und er meinte, etwas sehr Freisinniges zu sagen —: 
„Ich achte und dulde jede Meinung, nur nicht die verderbliche 
Lehre eines Moleschott.“ Nun, solange wir noch nicht gelernt 
haben, all die Phrasen von „gottloser Meinung“ aus unserem 
Wörterbuche zu streichen und auf jenes unselige „nur diese Mei- 
nung nicht“ gänzlich zu verzichten, so lange lebt in uns noch, ob 
auch in milderer Form, der fanatische Geist jener alten Eiferer, 
welche fremde Meinungen nur deshalb erwähnten, um zu beweisen, 
daß ihre Urheber sich gerechte Ansprüche auf den Höllenpfuhl er- 
worben hätten. Gereicht es etwa dem Lande Lessings zur Ehre, 
daß keine deutsche Hochschule sich getraut, einen David Strauß in 
ihren Hallen zu dulden? Auch in Deutschland gibt es (obwohl 
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