Full text: Auswahl für das Feld.

lassen. Mit dem Steigen des Wohlstandes verbreitet sich die 
Gewöhnung an die gleichen Genüsse über immer weitere Kreise, 
und seit das Reisen ein so demokratisches Vergnügen geworden, 
wird es bald erlaubt sein zu sagen, daß ziemlich jeder gebildete 
Mann dasselbe von der Welt gesehen habe. Trotz aller verein— 
zelter Rückschläge wird uns die Zukunft eine fortschreitende Er— 
weiterung der politischen Rechte bringen; immer mehr Menschen 
werden also künftig die gleichen politischen Funktionen ausüben. 
Uberhaupt sind die politischen Ideale, wovon unsere Zeit nicht 
lassen darf noch wird, nur durch Massenbewegungen zu erreichen; 
sie sind nur zu verwirklichen durch geschlossene große Parteien. 
Und welche ungewöhnliche Selbständigkeit des Charakters ist not- 
wendig, um nach Bürgerpflicht Partei zu ergreifen und dennoch 
die innere Freiheit sich zu bewahren! Schon heute schöpft die 
ungeheure Mehrzahl des Volkes ihre politische Bildung aus Zei- 
tungen, welche die Ertötung des Individuums grundsätzlich ver- 
langen, welche von Namenlosen geschrieben werden und zumeist 
nur in etwas klarerer Form dieselben Ansichten aussprechen, die 
von der Mehrzahl der Leser bereits gehegt werden. Und so ge- 
waltig hat dies notwendige Ubel des Zeitungslesens, diese Ge- 
wöhnung an eine, im ganzen ehrenwerte, im einzelnen sehr mittel- 
mäßige, populäre Literatur bereits auf die Menschen gewirkt, daß 
man schon beginnt, jeden für einen Narren zu halten, der sich zu 
keiner Zeitungsmeinung bekennt. Ja, sogar die Form dieser mittel- 
mäßigen Tagesliteratur, diese breit dahinfließende, wasserklare, 
jedes wahrhaften Lebens ermangelnde Darstellung gilt bereits 
als ein Muster. Auch bei einem ernsten Buche will man sich 
nicht mehr die dankbare Mühe nehmen, sich einzuleben in das 
Weben und Wesen des Schriftstellers. Man schmäht über un- 
klaren Vortrag, sobald einer die Dinge so darzustellen wagt, wie 
sie in seinem Auge sich widerspiegeln, sobald jemand noch den 
Mut hat, einen individuellen Stil zu schreiben. Wer je an einem 
Hauptsitze des Buchhandels gelebt, der weiß, welche Menge 
köstlicher Gaben und Neigungen erst zugrunde gehen muß, bevor 
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