Als eine Burg am Niemen von den Unsern erstürmt wird, da
bieten Hunderte der Heiden ihren Nacken dem Beile einer greisen
Priesterin, also daß keiner in der Deutschen Hände fällt. Aber
schon begegnen uns dann und wann Züge menschlicher Annähe-
rung. Scharen mißhandelter Leibeigener fliehen aus Litauen
hinüber unter das mildere Recht des Ordens; und gern nimmt
er sie auf — unter der bezeichnenden Bedingung, daß sie zurück-
geführt werden sollen in die Heimat, sobald ganz Litauen dem
Orden gehorche.
Sehen wir in den Kriegen des Ordens, wie billig, eine streng
monarchische Ordnung walten, so herrscht in seiner politischen Ver-
waltung der aristokratische Geist des Mißtrauens. „Da ist viel
Heil, wo viel Rat ist“, dies Wort, erhärtet an dem Beispiele
Christi, der auch mit den Aposteln frommen Rates pflog — be-
zeichnet den kirchlich-aristokratischen Grundgedanken seiner Verfassung.
Wohl schmückte sich das Land mit königlichem Pomp, wenn der
Statthalter des gestorbenen Hochmeisters alle Gebietiger des Or-
dens mit den Landmeistern von Deutschland und Livland gen
Marienburg berief und dann das Glockengeläute der Schloßkirche
verkündete, daß die auserwählten Dreizehn im tiefgeheimen Wahl-
kapitel einen neuen Fürsten erkoren, Christi Statt im Orden zu
halten. Aber den die mächtigsten Könige der Christenheit „lieber
Bruder“ nannten, er durfte nur über das Kleinste und Alltägliche
frei verfügen. Die fünf obersten Gebietiger, der Großkomtur, der
Oberstmarschall, der Oberstspittler, der Obersttrappier, der Oberst-
treßler mußten zu jedem wichtigen Beschlusse ihre Zustimmung
geben; jede Verfügung über Land und Leute war gebunden an
das Ja der beiden Landmeister; und wiederholt geschah, daß der
Deutschmeister mit dem großen Ordenskapitel die Absetzung eines
hoffärtigen Hochmeisters verfügte. Als die Macht des Ordens
reißend anschwoll, der persönliche Verkchr mit fremden Fürsten
sich vermehrte, befreite sich der Hochmeister allmählich von den
kleinlichen Regeln mönchischer Zucht und bildete sich einen glän-
zenden Hofstaat. Aber auch dann noch erhielt der Herr der Ost-
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