Full text: Auswahl für das Feld.

üben, der in der einen Hand die Rute der Züchtigung führt, in 
der andern den Stab des Mitleids. Nur die „allerschwerste 
Schuld“ — die Fahnenflucht, den Verkehr mit Heiden und die 
„vormeinsamten Sünden“ der Sodomie — kann auch des Meisters 
Gnade nicht sühnen; sie geht dem Sünder an sein Kreuz, er hat 
den Orden verloren ewiglich. Noch über das Grab hinaus ver— 
folgt der Orden die ungetreuen Brüder. Wird in dem Nachlasse 
eines deutschen Herrn mehr gefunden als jene kümmerliche Habe, 
die das Gesetz erlaubt, so verscharrt man die Leiche auf dem Felde. 
Derselben mönchischen Zucht unterlagen auch die zahlreichen nicht- 
ritterlichen Ordensbrüder, die das schwarze Kreuz auf grauem 
Mantel trugen und in mannigfachen Berufen, namentlich in der 
leichten Reiterei des Ordens, Verwendung fanden. Außerdem 
umgab den Hochmeister eine mit der Macht des Staates wachsende 
Schar von weltlichen Dienern und Hofleuten; preußische Land- 
edelleute, die der Orden in politischen Geschäften brauchte, Ge- 
lehrte und Künstler, Bediente und Subalterne. — In dieser furcht- 
baren Zucht, in einer Welt, die den Orden immer groß und 
prächtig, den einzelnen klein und arm zeigte, erwuchs jener Geist 
selbstloser Hingebung, der den Hochmeister Konrad von Jungingen 
auf dem Totenbette die Gebietiger beschwören hieß, sie sollten 
nimmermehr seinen Bruder zum Nachfolger in seinem Amte wählen. 
Freilich, eine nahe Zukunft sollte zeigen, daß bei so unmenschlicher 
Ertötung aller niederen Triebe weder die Freiheit des Geistes 
noch stetige politische Entwicklung gedeihen kann. 
Noch redete das Gesetz von dem „Golde der Minne, womit der 
Arme reich ist der sie hat, und der Reiche arm der sie nicht hat“. 
Noch erinnerten einige große Siechenhäuser, unter der Aufsicht des 
Ordensspittlers, und die reichversorgte Herrenfirmarie zu Marien- 
burg an die Zeit, da der Orden, der nun drei Fürstenthrone be- 
setzte, unter den Zelten von Akkon die Wunden pflegte; noch ward 
jedes zehnte Brot aus den Ordensvorräten den Armen gespendet. 
Aber ausschließlicher immer drängte sich des Ordens staatlich-krie= 
gerischer Zweck hervor. Das kirchliche Wesen erscheint oft nur als 
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