Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

102. Die Stubenfliege. 101 
sich der Seidenbau nach Südwesteuropa verbreitet. Die Nahrung 
der Seidenraupe besteht aus Blattern des Maulbeerbaumes. 
Der Appetit der Raupen ist aulserordentlich. In 4 Wochen 
wechseln sie viermal ihre Haut; die erste ist schwärzlich, die 
letzte weilslich. Zuletzt verlieren sie den Appetit, rennen un- 
ruhig umher und suchen sich ein Plätzchen zur Verpuppung. 
Ihr Puppenkleid ist Seide. Die Raupen spinnen es unter 
beständiger Drehung des Kopfes aus einem klebrigen, breiigen 
Stoffe, der sich in ihrem Leibe angesammelt hat. Der Faden 
kommt aus zwei Wärzchen am Munde und erreicht eine Länge 
von 3— 600 m. Das Puppenkleid, Cocon (sprich Kokong) 
genannt, ist weils oder gelblich und ungefähr so grols wie 
ein Taubenei. Nach z Wochen ist der Schmetterling ent- 
wickelt; er erweicht durch einen scharfen Saft den Cocon und 
durchbricht denselben. Doch so weit lässt man es nicht 
kommen, weil sonst die Seide zerstört würde. Nur eine An- 
zahl Schmetterlinge, die zum Eierlegen bestimmt sind, lässt 
man ausschlüpfen; die übrigen tödtet man in einem heilsen 
Backofen. Die Cocons bestehen aus der äulseren lockeren 
Floretseide, der darunter liegenden feinen Seide und 
der inneren geleimten Seidenwatte. Die Cocons werden 
in heilses Wasser geworfen und mit kleinen Besen gepeitscht. 
An das Keisig hängen sich die Fadenanfänge, und nun wird 
die feine Seide mit einem Haspel abgewunden. Um ein Pfund 
Seide zu erhalten, sind ungefähr zoco Cocons erforderlich. 
Aus den zarten, aber festen Fäden werden Tücher und Kleider- 
stoffe verlertigt. 
Die Schmetterlinge, welche uns durch ihre Farbenpracht er- 
freuen, machen alle eine vollständige Verwandlung durch. Die Farbe 
und der Glanz der Flügel rührt von dachziegelförmig über einander 
liegenden Staubschuppen her. Die Schmetterlinge haben meistens 
eine spiralförmig aufgerollte Zunge, die, ausgestreckt, olt länger ist, 
als das Thier selbst. Sie ist zum Aulsaugen der Blumensälte besummt. 
Aulser der Seidenraupe sind alle Schmeiterlingsraupen als schädlich 
zu betrachten. 
102. Die Stubenfliege. 
Die Stubenfliege kennt zwar jedermann; aber nur wenige 
Menschen haben sie so genau angeseben, daß sie eine richtige 
VDorstellung von ihr besitzen. Das Thierchen hat einen Kopf, 
einen Dorder= und einen KRinterleib, zwei Flügel und sechs 
Beine. Am Kopfe sind zwei große, unbewegliche Augen, zwei 
fühler und ein Saugrüssel. Um den Bau der Augen kennen 
zu lernen, muß man sie durch ein Vergrößerungsglas be- 
trachten. Man siebt dann, daß jedes derselben aus fast 
4000 sechseckigen Flächen besteht, von denen jede gewölbt und 
vollkommen wie ein Auge eingerichtet ist. Durch diesen merk-
	        
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