187. Jerusalem. 221
„Sehen Sie,“ sagte mein Führer, „dieser Weg, der zur
Grabeskirche führt, ist der Schmerzensweg.“ — Hier ist kein
Stein und keine Hlatte, die nicht Seugen einer großen Be-
gebenheit wären. Dieser Raum hat den Heiligsten gesehen in
aller seiner Schmach, ihn, den Derurtheilten und Leidenden,
den Dornengekrönten und unter der Last des Kreuzes zum Tode
Geführten. Welch beilige Srinnerungen sind mit diesen Steinen
eingebaut; wie viele tausend Berzen seit Constantins und
Helenas Seit haben über diesen Anblick geblutet, sind, von
diesem Anblicke getröstet, wieder von dannen gezogen! „Dort
im Süden liegt Bethlebbem,“ sprach der Führer weiter. Beth-
lelem, die anmuthigste unter den Städten! Sie liegt so fried—
lich auf dem Berge, und die hohe Sonne schaut so ruhig
auf sie, daß ich mich nicht erinnere, irgendwo einen Ort ge-
sehen zu haben, der mit solcher Anmuth solche Moajestät
verbände. — Dort zur Linken zwischen den Rügeln dehnt sich
das Thal der HBirten aus; eng und still liegt es zwischen
den Bergen, und nur wenige Bäume begrenzen seinen Saum.
Diele Klöster erheben sich über die Häuser von Bethlehem, und
die Kuppel, welche am häöchsten bervorragt, gehört der durch
die Kaiserin Hélena erbauten Kirche an, welche über der
heiligen Grotte steht, da Christus geboren ist.
„Welches Mamens ist dort die Burg,“ fragte ich den Be-
gleiter, „welche nur einige hundert Schritte von hier auf dem
Gipfel jenes Hügels steht “ — „Das ist die Davidsburg auf
Gion," sagte eintönig der Führer. Hier hat der Wann ge-
wohnt, der größte seiner Seit, der ein Drophet war, ein Dichter
und ein König. Don bhier aus konnte er Jerusalem beschauen
und ungestört des Flusses strömende Welle, das stille, grünende
Thal, die Terebinten und Glivenbäume betrachten, wie sie
schmücken die Häupter der Hügel. Gegen Südosten liegt vor
dem Auge des Beschauers das Thal Josaphat, die WMoschee
auf WMorija und weiterhin der Kessel des todten Meeres. —
Kein Anblick vermag die Seele mit so trüben Gedanken zu
erfüllen, wie das Thal Josaphat, ein enges Thal zwischen
zwei Hügeln, deren einer der Oelberg, der andere die Stadt
JZerusalem auf seiner Zöhe trägt, von dem fast wasserlosen
kidron durchschlichen. Tliemals scheint die Sonne in die
düstere Tiefe. Des Morgens verbirgt sie sich hinter dem Gel-
berg und des NSachmittags hinter Morija. Es ist das Thal
der Schatten und der Gräber, und wer über die Brücke geht,
die dort den Kidron überbaut, wird von unwillkürlichem
Schaudern ergriffen. Rechts von der Brücke befinden sich die
Gräber Absaloms, Josaphats und Sacharjas. Betende liegen
in der Nähe dieser Gräber auf dem Boden hingestreckt, und
eine Masse aufgeschichteter Steine vermehrt das Traurige
dieser tätte.