Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

221. Otto I. von Wittelsbach. 267 
Er nickt als wie im Tranme; sein Aug’ halb offen zwinkt, 
und je nach langem Raume er einem Knaben winkt. 
Er spricht im Traum zum Knaben: „Geh vor das Schloss, 
o Zwerg, und schau, ob noch die Raben herfliegen um den Berg. 
Und wenn die alten Raben noch fliegen immerdar, so muss 
ich auch noch schlafen verzaubert hundert Jahr.“ 
221. Otto I. von Wittelsbach. 
Auf dem Rückzuge von Italien im Jahre 1155 nahm 
Kaiser Friedrich der Rothbart mit dem deutschen Heere seinen 
Weg durchs Etschthal, um über den Brenner nach Deutschland 
zu gelangen. Auf diesem Wege kam er an den Engpaß von 
Chiusa, die Berner Klause genannt. Dort sperrten links 
der Strom, rechts steile Felswände und eine unzugängliche 
Burg, in welcher der Ritter Alberich von Verona hauste, 
gänzlich den Paß. Alberich verwehrte dem Kaiser den Vorbei- 
zug und drohte, er werde große Steine von der Burg hinab 
auf das deutsche Heer schleudern, wenn der Kaiser nicht für 
den freien Durchzug eine große Summe Geldes und jeder 
Ritter Harnisch und Pferd ausliefern würde. Die schimpfliche 
Bedingung einzugehen, war wider die Ehre, und wieder 
rückwärts zu gehen, war unmöglich, denn die Mailänder 
und Veroneser hatten alle Ausgänge besetzt. Der Untergang 
schien unvermeidlich. 
Da erbot sich Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, der sich 
im Gefolge des Kaisers als Bannerträger befand, die hals- 
brechenden Klippen zu ersteigen. Mit dreihundert Männern, 
den kühnsten und stärksten des Heeres, geht er landeinwärts 
und steigt auf gefährlichen, ungangbaren Pfaden aufwärts. 
Der Kaiser und das Heer harren ängstlich von Stunde zu 
Stunde. Plötzlich weht oben auf der höchsten Spitze des 
Felsens die Reichsfahne! Die Italiener, fünfhundert an der 
Zahl, werden von Otto angegriffen und die meisten fallen im 
Kampfe; nur Alberich und elf Genossen, welche gefangen 
wurden, müssen am Galgen sterben. Diese muthige Handlung 
hat der Kaiser dem Wittelsbacher nicht vergessen, wie wir 
nun hören werden. 
Die lombardischen Städte empörten sich immer wieder 
gegen Kaiser und Reich; sie wollten unabhängig werden von 
Deutschland. Der Kaiser Friedrich mußte deshalb wiederholt 
gaen sie ins Feld ziehen, im Jahre 1174 zum fünften Male. 
er dieser Feldzug nahm einen unglücklichen Verlauf. Der 
Kaiser ließ durch Eilboten die deutschen Fürsten zur Hilfe- 
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