286 238. Die Befreiung Wiens.
Im Mai 1689 wurde den Einwohnern angekündigt, da
ihre Stadt dem Erdboden gleich gemacht werden solle, da
ihnen aber eine sechstägige Frist zur Flucht nach Elsaß, Lothrin—
gen oder Burgund gewährt, die Flucht auf das rechte Rhein-
ufer jedoch bei Todesstrafe verboten sei. Der französische Be-
sehlshaber ließ hierauf die Stadt anzünden. Ein Feuerbrand,
den der Wind durch die Luft getragen hatte, flog in die Kuppel
des Domes, zündete, und die Flamme schlug auf. Bald war der
ganze Dom ein Feuerball. Die Glockenstühle, allmählich durch-
gebrannt, wichen aus dem Gefüge, krachten und stürzten sammt
den Glocken hinab.
Der Brand färbte den Himmel auf einen Umkreis von
vielen Stunden blutig roth und verkündete den Untergang von
Speier.
Kurfürst Max Emanuel von Bayern war einer der ersten deutschen
Fürsten, der mit seinem Heere den Franzosen entgegenrückte und im
Vereine mit dem österreichischen Feldherrn Ludwig von Baden das
weitere Vordringen derselben hemmte.
238. Die Befreiung Wiens.
Heute sind die östlichen Nachbarn des Königs von Ungarn
und Kaisers von Oesterreich sehr zufrieden, wenn man sie
in Ruhe lässt. In den Zeiten jedoch, aus denen ich erzähle.
Waren sie seit länger als zweihundert Jahren die grimmigsten
Störenfriede und die Erzfeinde der Christen. Der Türke hätte
gerne das ganze Abendland erobert und unter seinen Halb-
mond gebracht.
Von den Ungarn gegen Oesterreich zu Hilfe gerufen, traf
der kriegerische Groflsvezier Kara Müstäphä Veranstaltungen,
mit einem Heere gegen Oesterreich ins Feld zu rücken, wie
seit der Eroberung Konstantinopels keines gesehen worden
war. Zum Glücke fand Kaiser Leopold I. an dem pol-
nischen Könige Johann Sobiösky einen tapferen Bundes-
genossen, an den deutschen Fürsten treue und rasche Helfer,
und an dem Herzog Karl von Lothringen, dem der
landergierige Ludwig XIV. von Frankreich sein deutsches
Reichsland genommen, einen trefflichen Führer für sein Heer.
So brach das Frühjahr 1683 an, ohne dass jedoch die
Rüstungen vollendet gewesen wären, aber die Türken, die
sonst erst gegen den Sommer ins Feld zu ziehen pflegten,
waren diesmal im Winter aufgebrochen, überschritten die
Grenze und zogen geraden Weges gegen Wien. Bestür-
zung und Angst erfüllte die Stadt. Der Kaiser begab sich
nach Linz und viele Einwohner folgten dem Hofe. Die Zu-
rückgebliebenen aber waffneten sich zur Gegenwehr. Das