Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

306 257. Der deutsch-französische Krieg. 
Besaßen sie nicht das kriegsgeübteste Heer in Europa? 
Rechneten sie nicht auf Bundesgenossen diesseit des Rheines? 
Die deutsche Uneinigkeit war ja sprichwörtlich geworden, und 
Frankreich hatte sich dieselbe seit Jahrhunderten zu nutze ge- 
macht. Aber jene Zeiten lagen hinter uns. Ein anderer 
Geist war in Deutschland erwacht. „Wir wollen sein ein 
einig Volk von Brüdern!“ So dachten Volk und Fürsten. 
Und einig stand ganz Deutschland in der Stunde der Ge- 
fahr. Bayerns jugendlicher König Ludwig II. erklärte, 
daß Bayern treu zur Seite Preußens stehen werde. Ihm 
folgten einmüthig die übrigen süddeutschen Fürsten. Selbst 
Oesterreich vergaß der Niederlagen von 1866 und des alten 
Grolles gegen Preußen und blieb neutral. 
Dennoch war die Stimmung in Deutschland ernst, und 
mit Besorgniß sah man dem schweren Kampfe entgegen. 
Aber schon am 4. August wurden Weißenburg und 
der Geisberg, am 5b. August die Spicherer Höhen 
von den vereinigten nord= und süddeutschen Heeren erstürmt, 
und am 6. August wurde der berühmte französische General 
Mac Mahon bei Wörth vollständig geschlagen. Unauf- 
haltsam drangen jetzt die tapfern deutschen Armeen in das 
Innere Frankreichs. Sieg auf Sieg wurde errungen. Ein 
dreitägiger, furchtbarer Kampf an der Mosel (14.— 18. Aug.) 
zwang eine französische Armee unter Bazaine (sp. Bassäng), 
in der starken Festung Metz Schutz zu suchen. Die letzte 
französische Armee, die unter Mac Mahon zum Entsatz von 
Metz heran zog, gerieth nach heftigen Kämpfen bei Sedan 
in Gefangenschaft. Kaiser Napoleon selbst ergab sich am 
2. September dem siegreichen preußischen Könige Wilhelm. 
Als die Nachricht über die vollständige Niederlage des 
französischen Kaiserreiches nach Paris kam, wurde dort die 
Republik verkündet. Aber die neuen Machthaber Frank- 
reichs wollten von einer Gebictsabtretung an den Sieger 
nichts wissen; sie riefen das ganze kampffähige Volk unter 
die Waffen. Doch alles war vergeblich! Eine Festung nach 
der andern fiel in deutsche Hände: Straßburg am 
27. September, Metz am 27. Oktober. Paris mit seinen 
großartigen Festungswerken wurde eingeschlossen (cernirt), 
und das neugebildete französische Heer, welches zum Entsatze 
der Hauptstadt heranrücken sollte, geschlagen (St. Unentin, 
Orleans, Le Mans, Belfort). Vergebens suchte daz Pariser 
Vertheidigungsheer die Cernirungslinie zu durchbrein. Alle 
  
  
	        
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