Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

310 260. Friedensbilder über Todesweh. 
Raume des Bahnhofes zu Weißenburg zusammengehäuft, und 
inmitten dieser Hunderte von ächzenden oder in den letzten 
Sügen liegenden VDerwundeten wandelten wie Engel des 
Friedens barmherzige Schwestern und Diakonissen, überall 
helfend, pflegend und mit milder, wohlgeübter Hand die 
Schmerzen mildernd. Und vermochte ihre Pflege das Ceben 
nicht mehr zu retten, so suchten sie doch wenigstens den Sterben- 
den noch im letzten Augenblicke durch den Zuspruch ihrer Religion 
zu trösten. So sah ich, wie eine barmherzige Schwester neben 
einem alten Zuaven, dem eine Kugel das rechte Bein un— 
mittelbar an der Hüfte weggerissen hatte, niederkniete, dem 
Sterbenden vorbetete und ihm dann das Kreuz, das an ihrem 
Gürtel hing, zum Küssen reichte. Solche Worte des Trostes 
und Friedens hatte der wilde Krieger wohl lange nicht mehr 
gehört; seine Süge verklärten sich und inbrünstig küßte er 
das Kreuz. — Mit unermüdlicheem Eifer stehen barmherzige 
Schwestern und Diakonissen Tag und KNo#acht auf ihrem be- 
schwerlichen HDosten. Manches Menschenleben, dessen Verlust 
in der fernen HBeimat bittere Schmerzensthränen verursachen 
würde, läßt Gottes Gnade durch ihren Beistand retten. Kein 
äußerer Lohn vermag solch aufopferndes Wirken zu belohnen; 
nur das Bewußtsein, wahre Christenpflicht zu erfüllen, ver- 
mag dies. 
III. 
Frauenverein. Für die Kämpfenden in Leindesland 
arbeiteten und sorgten dahbeim die Frauen in tausenden von 
Dereinen. Da saßen um den Tisch des HRauses neben der 
Mutter die Töchter vom kleinen Mädchen bis zur Jungfrau 
und zupften alte Leinwand zu Charpie, die man auf die Wunden 
legt. Die Frauen schnitten Derbandtücher und Binden zurecht, 
oder sie strickten und nähten für die Soldaten. Große Vorraths- 
häuser waren kaum im Stande, die eingehbenden Ciebesgaben 
zu bergen. Dom Morgen bis zum Abend waren hier treue 
Krauenhände thätig, die geschenkten Wäschstücke zu zählen und 
zu ordnen. Andere arbeiteten an Mähmaschinen, um Arm- 
binden mit dem rothen Krenz, Hemden u. s. w. zu fertigen. 
Noch andere nahmen die Hostpackete an, die von auswärts 
eingingen, sortirten, ordneten, packten und lieferten sie aus. 
Aber nicht allein Leinenzeug und Wollensachen auf den Ceib, 
sondern auch was in den Ceib gehört, Eßwaaren aller Art 
und Erfrischungen, Getränke, Tabak und Cigarren, kafee 
und Wein wurden geschenkt, gekauft und gesammelt. Zn vielen 
Wagenladungen führten sie die Eisenbalnen als Ciebesgaben 
neben der ordentlichen Derpflegung dem Heere nach. So ruft 
der schreckliche, blutige, mörderische Krieg, der so viel Unheil 
und Thränen ins Land bringt doch daneben auch viel Liebe
	        
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