Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

320 266. Dr. Martin Luther. 
Er schickte ihn 1497 auf die lateinische Schule zu 
Magdeburg und ein Jahr darauf nach Eisenach, wo 
Martin sich seinen Unterbalt kümmerlich als Currende- 
schüler durch Singen und Beten vor den Thüren ver- 
mögender Leute erwerben musste. Durch seine schöne 
Stimme und mehr noch durch sein ernstes, frommes, 
bescheidenes Wesen zog er die Aufmerksamkeit einer 
cdlen Wittwe, Namens Cotta, auf sich, die ihn in 
ihr Haus nahm. 1501 bezog er die Universität zu Er- 
furt, um nach dem Willen seines Vaters ein Rechts- 
gelehrter zu werden. Der Herr segnete seinen grolsen 
Fleils; denn Luther betete und arbeitete und, wie er 
selbst sagt, „fleilsig gebetet, ist über die Hälfte studirt“. 
Schon 1503 wurde er Magister der freien Künste, und 
durfte nun selbst an der Universität Vorlesungen in der 
Philosophie halten. Eines Tages fand er auf der Uni- 
versitätsbibliothek eine grosse lateinische Bibel, die an 
einer Kette befestigt war; noch nie in seinem Leben 
hatte er eine ganze Bibel gesehen, und sein erster Blick 
fiel auf 1. Sam. 1 und 2. Bald las er gar vieles in der 
hl. Schrift, wovon er nie gehört, und sein mühsam 
unterdrücktes Verlangen, ein Geistlicher zu werden, wurde 
wieder mit voller Stärke in ihm lebendig. Dazu kam, 
dass auf einer Ferienreise nach der Heimat sein lieber 
Freund Alexius neben ihm vom Blitze erschlagen wurde. 
Der Gedanke: „Wo wäre jetzt deine Seele, hätte dich 
der Strahl getroffen?“ fasste ihn und liels ihn nicht 
1os. Mit dem Wunsche, seine Seele zu retten, der Welt 
sich zu entziehen, ganz dem Herrn zu leben, ging er 
am 17. Juli 1505 als Mönch ins Augustinerkloster zu 
Erfurt. Den darüber bekümmerten Vater tröstete er 
mit zarten, kindlichen Worten. Nun lag er mit der 
strengsten Gewissenhaftigkeit den Pflichten des neuen 
Standes ob. Allein harte Arbeiten und selbsterwählte 
Fasten und Kasteiungen, welche, wie er meinte, zur 
Erwerbung göttlicher Heiligkeit und Seligkeit dienlich 
wären, warfen ihn aufs Krankenlager. Da tröstete ihn 
ein alter Klosterbruder mit dem Worte: „Ich glaube an 
eine Vergebung der Sünden“, mehr aber noch der 
fromme Ordensgeneral Johann von Staupitz. Als 
dieser den jungen Mönch zum ersten Male sah, ahnte 
er in ihm einen Mann, mit welchem Gott etwas Grolses
	        
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