Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

324 268. Luther auf dem Reichstage zu Worms. 
Abschiede: „Komme ich nicht wieder, und morden mich meine 
Feinde, so beschwöre ich dich, lieber Bruder, lass nicht ab zu 
lehren und bei der Wahrheit zu beharren! Du kannst es noch 
besser machen.“ 
Als er in den ersten Tagen des April 1521 von Wittenberg 
auf einem offenen. vom Rathe ihm geliehenen Rollwagen weg- 
fuhr, da haben viele Bürger und Studenten in Thränen ihm 
die IIand gereicht; sie meinten, er werde nicht wiederkehren. 
Vom kaiserlichen Herolde geleitet, zog er über Leipzig, 
Erfurt und Frankfurt, an den meisten Orten mit Zeichen 
herzlicher Theilnahme empfangen. Das Volk lief stundenweit 
ihm entgegen. Einige versuchten, ihn von seinem Vorhaben 
abzuschrecken; sie erinnerten ihn an Konstanz; er dachte 
ohnedem daran, der Kaiser werde ihm das Geleit nicht 
halten können. In Weimar wurde gerade ein kaiserliches 
Edikt angeschlagen, Luthers Bücher auszuliefern und zu ver- 
brennen. Da fragte der lHerold: „Herr Doctor, wollt ihr 
weiter ziehen?“ Luther antwortete: „Und wenn sie gleich 
ein Feuer machten, das bis an den Himmel reichte, will 
ich doch im Namen des llerrn erscheinen, Christum be- 
kennen und walten lassen.“ Als er in die Nähe von Worms 
kam, schickte selbst sein Freund Spalatin, der mit seinem Herrn 
dort war, einen Boten, er solle nicht hineinkommen, seine 
Sache sei verloren. Luther antwortete: „Und wenn so viele 
Teufel zu Worms würen, als Ziegel auf den Dächern liegen, 
dennoch wollt ich hinein.“ 
Als er am 16. April morgens vor Worms ankam, waren 
einige sächsische Edle ihm entgegengeritten. Der kaiserliche 
IHerold ritt voran; neben Luther in der Mönchskutte sassen 
ein Augustiner und der getreue Amsdorf; viel Volk hatte sich 
aufgemacht, ihn zu sehen. llerberge fand er im Hause des 
Komthurs der Johanniter, wo einige sächsische Herren wohnten. 
Am Tage nach seiner Ankunft, abends um 4 Uhr, ward 
Luther in die Reichsversammlung entboten. Er lag vorher im 
Gebete vor Gott. 
Ulrich von Pappenheim und Kaspar Sturm begleiteten 
ihn auf Umwegen durch Gärten, um der herbeiströmenden 
neugierigen Menge zu entgehen, zum bischöflichen Palaste, 
wo der Kaiser residirte und die Reichsversammlung ge- 
halten wurde. An der grossen Thür des Saales stand der 
tapfere Feldhauptmann Georg von Frundsberg; der legte ihm 
die Hand auf die Schulter und sprach: „Mönchlein, Mönchlein, 
du gebest jetzt einen Gang, dergleichen ich und mancher 
Oberste in unserer ernstesten Schlacht nicht gegangen bin. 
Bist du aber auf rechter Meinung und deiner Sache gewiss, 
so fahre in Gottes Namen fort und sei getrost, Gott wird
	        
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