268. Luther auf dem Reichstage zu Worms. 325
dich nicht verlassen.“ Luther trat ein und stand vor Kaiser und
Reich. Um den jungen Kaiser waren fast alle Fürsten des
Reichs versammelt; sechs Kurfürsten, die Gesandten des
Papstes, weltliche und geistliche hohe Herren und die Vertreter
der Städte, im Ganzen gegen 300 Personen, bildeten diese er-
habene Versammlung. Luther wurde durch den Kanzler des
Kurfürsten von Trier aufgefordert, zu beantworten, ob er die
aàauf einer Tafel vor ihm liegenden Bücher als die seinigen an-
erkenne und ob er ihren Inhalt widerrufen wolle? Bevor er
antwortete, sprach der rechtskundige Dr. Hieronymus Schurf:
„Man verlese die Titel!“ Hierauf bekannte sich Luther zu
seinen Büchern. Auf die zweite Frage zu antworten, ob er
alles darin vertheidigen oder widerrufen wolle, bat er Kaiser-
liche Majestät um Bedenkzeit, weil das der Seelen Seligkeit
und den höchsten Schatz im Himmel und auf Erden, Gottes
Wort, beträfe. Nach kurzer Berathung der Fürsten erwiderte
der Kanzler, er habe zwar genugsam Zeit gehabt, dies zu
erwägen, doch Kaiserliche Majestät wolle aus angeborener
Güte ihm noch einen Tag zum Bedenken gewähren.
In der That, dazu hatte er auch Zeit genug gehabt. Er
hatte mit schwacher, etwas gedrückter Stimme gesprochen.
Auch wer nichts weils von Menschenfurcht, dem fällt solch
cin erster Anblick der Grossen dieser Welt aufs Herz, bis
das Auge sich daran gewöhnt. Luther hat den Tag in stiller
Erwägung und im Gebet zugebracht.
Am 18. April war es bereits Abend und der Saal von
Fackeln erleuchtet, als er wieder in die Reichsversammlung
eingeführt wurde. Auf die wiederholte Frage nach dem
Widerruf sprach er mit fester sicherer Stimme: „Allerdurch-
lauchtigster Kaiser, durchlauchtigste hochgeborne Kurfürsten,
gnädigste Herren. Ich erscheine als der Gehorsame auf den
Termin, so mir gestern Abend angesetzet ist, und bitte durch
Gottes Barmherzigkeit, Ew. Kaiserliche Majestät wollen diese
gerechte und wahrhaftige Sache gnädigst hören und, so ich
aus Unverstand vielleicht einem jeglichen seinen gebührlichen
Titel nicht geben oder mich sonst irgend nicht nach Hof-
gebrauch erzeigen würde, mir gnädigst zu gute halten, als
der ich nicht an fürstlichen Hôfen erzogen bin. leh kann
von mir nichts andres anzeigen, denn dass ich bisher mit
solcher Einfalt des Gemüthes geschrieben und gelehrt habe,
dass ich auf Erden nicht anderes, denn Gottes Ehre, die
unverkümmerte Untersuchung und der Christglünbigen Nutz
und Seligkeit, damit dieselben rechtschaffen und rein unter-
richtet würden, angesehen und gesuchet habe.“
Darauf fuhr er, seine Bücher in verschiedene Klassen
scheidend, fort: „Etliche sind, in welchen ich vom christlichen