94 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. & 11.
In der kurfürstlichen Zeit hatte sich in Bayern der Grundsatz ausgebildet, daß die Aus-
wanderung ohne besondere landesherrliche Genehmigung bei Strafe, namentlich der Ver-
mögensconfisklation verboten sei!). Die Constitution von 1808 Tit. J. § 8 spricht das
Verbot der Auswanderung ohne ausdrückliche Erlaubniß des Monarchen aus „bei Verlust aller
bürgerlichen Rechte“. Dem ohne solche Bewilligung Ausgewanderten sollte nach dem Edikte über
die Confiskationen vom 29. Aug. 1808 (R.-Bl. S. 1937 ff.) der Besißzz und Genuß seines
Vermögens entzogen, dasselbe sollle aber nach seinem Tode den als Lur errechtmäßigen Erben
Wezikimirten ohne Abzug aber auch ohne Zinsen wieder verabfolgt werden. Die V. U. von 1818
Tit. IV. 8 14, Abs. ĩ verfügt im Anschlusse an Art. 18 der deutschen Bundesalte vom 8. Juni
1815: „Es ist. den Baiern gestattet, in einen andern Bundesstaal, welcher erweislich sie zu
Unterthanen annehmen will, auszuwandern, auch in Civil= und Militairedienste desselben zu
treten, wenn sie den gefetzlichen Verbindlichkeiten gegen ihr bisheriges Vaterland Genüge geleistet
haben“. Wenn auf diese Weise ein Necht der bayerischen Staatsangehörigen zur Aus-
wanderung in dem deutschen Bunde angehörige Staaten unter bestimmten Voraussetzungen, unter
die vor Allem die Erfüllung der Militärpflicht zu rechnen war 2), verfassungsmäsßtig auodrücklich
anerkannt war, so war andererseits die Frage bestritten, ob im Uebrigen das Verbot der Aus-
wanderung ohne eine nach Ermessen der Obrigleit zu versagende Erlanbniß fortdauere oder ob
es nicht mindestens als gewohnheitsrechtlich ausgehoben anzusehen sei 1 Jedenfalls mußten die
früher auf die unerlaubte Auswanderung gesetzten Strafen feit der Strasgesetgebung von
1861, in welche sie nicht übergegangen waren, als anliquirt angesehen werden, und that-
ächlich war die staatliche Behandlung der Auswanderungen nach deutschen wie der nach
auherdensschen Ländern wesentlich die gleiche, insoferne auch zur Auswanderung in jene sormell
eine obrigkeitliche Erlaubniß erfor dert wurde und andererseits die Erlaubniß zur Auswanderung
in diese nicht willkürlich versagt zu werden pflegte ). Schließlich hat die M.-E. vom 2. Febr.
aus dem Kreisamtsbl. v. Oberhayern, abgedr. in: „Neue Gesetze und Verordnungen f. d. Kar.
Bayern“ IV. Bdchn. München 1856 33 ff. und die sofort zu erwähnende M.-E. vom 2. Fekr.
1868) und auch in Entscheidungen 5, Verwaltungsgerichtshofses zur Anerkennung gelommen ist.
(Entsch. vom 28. Juni 1881 und 15. Juni 1883 Sammlung der Entsch. des K. b. Verwaltungs-
gerichtshofes Bd. III. S. 120 ff., IV. S. 509 ff.) Doch sollten nach der M.-E. vom 2. Febr. 1868
*s die vor Beginn der Wehrpflicht mit Erlaubniß ausgewanderlen Jünglinge während ihrer
Abwesenheit keines Falls in die Bezirks= oder Aushebungsliste ausgenommen oder in die Armee
eingereiht werden, so daß also praktisch jene Ansicht doch nicht gauz durchgeführt wurde. Vgl. zu
diesem Punkte Zeitlmann, das bayer. Ges. über die Wehrverfassung vom 30. Jan. 1868.
Nördl. 1868. S. 17 ff. und Pözl, Verfassungsrecht 4. Aufl. S. 55, Anm. 11, und über die ganze
Frage, die mach jetzt noch nict, ohne pratttsches Interesse ist, Blätter 1 administr. Praxis
. S. 71 ff. und 3. S. 337, 4. S. 85 ff. (Brater) und für die in der Praxis zur Geltung
Sichhne Auffassung v. M# Eanlleel zum Heimathgef. gon 1868. 5. Aufl. von
v. Müller, Nördl. 1881 S. 129 und Blätter f. adm. Pr. 6, S. 362 ff. (Sn.) Doch ist
letzterem Aufsatze gegenüber daran festzuhalten, daß für die 2 erung im eigentlichen
Sinne das erlassen! des Staatsgebietes ein wesentliches Moment bildet. In
weiterem Sinne als im bayerischen Recht wird der Begriff in der neueren slaatorechtlichen
Literatur gefaßt, vgl. v. Martitz in Hirth's Annalen des Deutschen Reichs 1875 S. 1118 „Aus-
wanderung ist nichts Anderes als die Enlfernung aus dem Staatögebiete ohne Die bestimmte
Absicht wieder dahin zurückzulehren“, und G. Meyer, Lehr 57
Auswanderungsfreiheit „umfaß!t ein doppeltes Necht: a) das Necht, di ie Neichs- und Staats-
angehörigkeit aufzugeben, (Expatriation) b) das Recht, unter Veioehallung der Reichsangehörigkeit
seinen *4 im „Muslande zu nehmen“)
ee Zusammenstellung der älteren lher einschlagenden Verordnungen, als deren
77 das heet Mandat vom 28. Febr. 1764 erscheint, während die V.-O. vom 6. Juli
RN.-B. S fl.) wegen ihrer Vestinihungen über die Nachsteuer danernde Bedeutung
** hat, !0 2 : fßz V.-O. Samml. Bd. III S. 53 ff., dazu Araterl#e in, den Blätt.
adm. 1. axis Bd. 3 S. 177 ff. und neuestens Seydel, Bayer. Staakerecht I. S. 303 fl.
Vgl. hierüber? das Heerergänzungsges. vom 15. Aug. 1828 § 67 und das a seile Stelle
— Gesetz die Wehrverfassung betr. vom 30. Jan. 1868 Art. 73, 74.
3) Ein allgemeines Recht der Auswanderung nehmen an v. Spies. Beleuchtung der V.-U.
S. 163 ff. Pözl, Verfassungsrecht 1. Aufl. 1851 S. 72, 4. Aufl. S. 82 ff. v. Riedel, Com-
mentar zum Heimathges. von 1868 — 5. Aufl. von v. Müller, Nördl. 1881. S. 128 ff., während
die gegentheilihe. e Ansicht außer von v. M oy, Lehrb. d. bayer. Staatsrechts I. Th. 2. Abth. S. 13 ff.
namentlich in den Blättern für administr. Praxis vertreten wird. Vgl. Bd. 3. S. 177 ff.
* , Se# ff. (Brater), 6. S. 373 ff. (Sn)., dann 17. S. 83, 339 Anm. und 18. S. 289 ff.
(Luthardt).
4) Allerdings aber wurde die Erlaubniß zu Auswanderungen dieser Art nach Verschiedenheit
der Fälle in der Praxis noch von der Erfüllung besonderer Voraussezungen abhängig gemacht,
vgl. die lehrreiche Abhandlung Con In: „Die Vorschriften über Aus wanderung“ in den Blättern
f. adm. Praxis Bd. 6 S. 360 ff.