§ 11. Die Rechte der Unterthanen. 95
1868 ausdrücklich jede Answanderung bayerischer Staatsangehöriger zwar als von einer
Erlaubniß der Distriktspolizeibehörde des Heimathsortes abhängig, diese Erlaubniß aber
als eine dann nicht zu verweigern de erklärt, „wenn der Auswanderer zuvor den gesetz-
lichen Verbindlichkeiten gegen sein Vaterland genügt hat“!). Gegen einen abweisenden Beschluß
ist Berufung an die Kreisregierung zulässig, welche in erster Instanz zu entscheiden hat über
Gesuche um Erlaubniß zur Auswanderung in Länder, mit denen keine Freizügigkeitsverträge
bestehen, dritte, unter Umständen zweite Instanz, ist das Ministerium des Junern).
Durch das Reichsrecht ist in diesem Rechtszustande eine nicht unbeträchtliche
Veränderung bewirkt worden. Einmal ist durch das Gesetz über die Erwerbung und
den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 die Aus-
wanderungsfreiheit in allgemeiner Weise anerkannt worden, inso-
ferne die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit auch dann, wenn der Nachweis, daß die
Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaate erworben worden sei, nicht erbracht
worden ist, in Friedenszeiten doch nur unter gewissen, mit Rücksicht auf Wehrpflicht
und Militärdienst- und Beamtenverhältniß bestimmten Voraussetzungen verweigert werden
kann ?). Andererseits läßt sich für den Begriff der Auswanderung das
Merkmal der Erwerbung einer fremden Staatsangehörigkeit nicht
mehr aufrecht erhalten, da die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von der
Aufnahme oder Naturalisation in einem andern Staate nach Reichsrecht gänzlich unab-
hängig ist; und auch insoferne ist mit dem Begriffe der Auswanderung für Bayern
eine Wandelung vorgegangen, als nunmehr streng genommen nur noch von einer Aus-
wanderung in nicht zum Deutschen Reich gehörige Länder gesprochen werden kann“).
Durch die reichsrechtliche Anerkennung der Auswanderungsfreiheit ist die Ver-
pflichtung zur Entrichtung der sog. Nachsteuer von dem bei der Auswanderung
auszuführenden Vermögen nicht berührt worden. Die Verpflichtung zur Zahlung dieser
Abgabe, für den Uebergang des Vermögens von einem der Staaten des ehemaligen
deutschen Bundes in den anderen schon durch die Bundesakte von 1815 und den Bundes-
beschluß vom 23. Juni 1817 aufgehoben, ist aber nunmehr überhaupt für Bayern nur
1) Abgedruct in den Kreicamtsblätern des Tees 1868 und daraus in Bayerns
Gesetze und Gesetzbücher 3. Ergänzungsbd. S. 473 ff. vgl. dazu die Bemerkungen in den Blättern
Her administr. Praxis Bd. 18. S. 289 ff. Etea enb Pözl, Verfassungsrecht S. 83 und 5
nin. 11.
3 Wesentlich übereinstimmend war die Zuständiglet und der Instanzenzug auch schon früher
geregelt gewesen, vgl. Bl. f. adm. Praxis Bd. 6,
*:) Gesetz vom 1. Juni 1870 SF§ 15, 17, Se .B. Art. 59 Abs. 2, Ges. beir. die Ver-
bslichtg zum Kriegsdienst vom 9. Nov. 1867 §5 15, Abs. 2, buichoniitaie, vom 2. Mai 1874
' ZmtLustddtcNovcllczadictenthivotnts Mai Art. 1 § 3 Ziff. 8, Reichs-
tst 8§8§ 140, 360, Ziff 3. Den Vorbehalt besonderer durch 0“ Heltdeswbüsidstan für die Zeit
eines Krieges oder einer Kriegsgefahr zu erlassender Anordnungen über die Entlassung aus
der Staatoangehörigleit enthält § 17 des Ges. vom 1. Juni 1670, vgl. dazu v. Riedel, die
Reichsverfassungsurk. S. 265 und über das Ganze Seydel in Hirth' s8 Annalen 1876 S. 146,
7 und Voher. Staater. I. S. 542 ff.; ferner Laband, Staatdr. d. . R. I. S. 172 ff. und in
diesem Handb. II. 1 S. 35, bamn G. Meyer, Lehrb. d. D. Staatsr. S. 169 ff. 571 ff. und Lehrb.
2. Verwaltunger. I. S.
ieß ist auch dis ——en des Reichsrechts: Das Reichsmilitärges. vom
2. Mai 1874 sagt § 11 Abs. 2: „Dasselbe gilt von den Söhnen ausgewanderter und
wieder in das Deutsche Reich zurückgekehrter Personen“ und § 68: „Personen des Beur-
laubtenstandes, welche nach erfolgter Auswanderung vor dem vollendeten 31. Lebensjahr
wieder naturalisirt werden.“ BDgl. hiezu v. Holtzendorff, Art. Auswanderung in seinem
Rechtslexikon I. 3. Anfl. S. 213 unter III. Von der Auswanderung ins Ausland wird
demgemäß wenerdings edie Ueversiedelung (Laband, Staatsr. d. D. R. I. S. 172 und in
biesen, dandb. S. 35) oder auch Ueberwanderung (G. Meyer, Sle l. d. D. Staatsr.
S. 169 D. Slulsh 1. S. 139) in einen anderen Staat innerhalb des Bundesgebietes
Wichhed eine Terminologie, die auch zum Theile beobachtet wird in der M.-E. vom 5. Juni
1871 die Auswanderung von Wehrpflichtigen und Militärpersonen betr. Ziff. 2—4, abgedruk bei
v. Riedel, Reichsverfassungsurk. S. 276 ff.