164 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. 811.
und wird andererseits gefordert, daß man sich nicht in einem die eigene freie Ueber-
zeugung ausschließenden Geistes- oder Gemüthszustande befinde (8 7). Daran schließt
sich dann das Verbot der s. g. Proselytenmacherei.
„Keine Partei darf die Mitglieder der andern durch Zwang oder List zum
Uebergang verleiten“ (8 8).
„Die Wahl des Glaubensbekenntnisses“ kann sich thatsächlich ebensowohl als
Uebertritt von einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft zur andern darstellen,
wie als einfacher Austritt aus einer solchen Gemeinschaft ohne die Merkmale des Ueber-
trittes zu einer andern, und als Eintritt eines sog. Confessionslosen in eine
staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft. In allen diesen Richtungen ist die Wahl
des Glaubensbekenntnisses in Bayern als rechtlich zulässig zu erachten, wenn schon die
II. Verfassungs-Beilage nur für den Fall des Uebertritts von einer Kirche zur
andern bestimmte Formvorschriften gibt 10.
„Der Uebergang von einer Kirche zu einer andern muf allezeit bei dem einschlägigen Pfarrer
oder geistlichen Vorstande sowohl der neu gewählten, als der verlassenen Kirche persönlich
erklärt werden.“ (Beil. 11 § 10). In analoger Anwendung dieser Vorschrift wird für den Fall
des einfachen Austritts aus einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft jedenfalls die per-
sönliche Erklärung desselben vor dem einschlägigen Pfarrer oder geistlichen Vorstande dieser
Gemeinschaft zu verlangen sein?).
Auch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die in dem Religionsedikte ent-
haltenen Vorschriften für die Wahl des Glaubensbekenntnisses und insbesondere auch für
den Uebertritt von einer Kirche zu einer andern auf alle in Bayern staatlich
anerkannten Religionsgesellschaften Anwendung finden müssens).
gion Sunterricht an einer fremden Confession angehörige Minderjährige rechtlich nicht zulässig
sei (gleichfalls entgegen früberer Praxis). vgl. das Erkenntniß des ehemaligen bayerischen obersten
Grrichtshofen vom 2. Nov. 1878 (Samml. d. Entsch. cbesselben in Gegenständen des Strafrechts
529 ff., auch im Eiet (ssanl. 5. 1878 S. 345 ff.) und dazu Reinhard S. 191 f.
7 ddtenv S. 215 ff. — Daß mit kaltl. #15 der erziehungsberechtigten Eltern die Auf-
nahme Minderfähriger in eine Neligionsgemeinschaft stattfinden kann, ist allerdings unzweifelhaft.
) der Praxis bis jeßt nicht durchgedrungenen Anschauung, daß nach dem Nel.-Edikt
der Auslrilt 9 einer staatlich alelkamnn Religionsgemeinschaft ohne gleichzeitigen Uebertritt zu
einer solchen an sich nicht möglich sei, in Bayern also nur aus anderen besonderen Gründen Fälle der
sog. Confessionslosigkeit vorkommen könnten, (E. Mayer a. a. O. S. 146) steht vor Allem die
Erwägung gegenüber, daß die Annahme einer solchen Unmöglichkeit mit dem in Tit. IV § 5
V.-U. und § 1 der II. Beil. ausdrücklich anerkannten Grundsatze „der vollkommenen Or.
wissensfreiheit“ in entschiedenem Widerspruch stehen würde welcher auch dadurch nicht
beseitigt würde, wenn man annehmen wollte, daß in § 5 der II. Beil. die Freiheit auch der Wahl
eines von dem der Kirche, in der man bleibt, abweichenden Glaubensbekenntnisses aner-
kannt sei. Vgl. hieher außer Wilda a. a. O. S. 212 Reinhard S. 196 ff., welcher insbesondere
auch hervorhebt, daß für die Anerkennung des Rechtes der Hausandacht in der V.-U. kaum ein Bedürfniß
vorgelegen hätte, wenn sie dies nicht auch für solche Angehörige des bayerischen Staates hätte aussprechen
wollen, „die keiner recipirten Confession angehören“. Daß der Gesegeber 1818 an eine solche
Vonligten hätte denken können, zu einer Zeit, wo der rosecen des Connubiums beraubt war“,
t sich nicht mit E. Ma ayer S. 146 Anm. 13 ohne Weiteres verneinen. Aber auch wenn dies
lat Fall wäre, würde damit noch kein entscheidender Grund gegen die Annahme eines aus dem vom
Gesetzgeber usioeen Grundsate der Gewissensfreiheit mit innerer Nothwendigkeit abzuleitenden
Folgesaesg *Wi seie
2) Vgl. über die- deer Handhabung Svon o der Prazis noch verschiedene M.-E. bei
linger BPd. Vt- d ünther Amtahandbnch f. die rote
Geistlichen im Königr. Bin Keul d. Rheins Bd. Wd 1883 S. 24 ff. Dazu iiiahh “*„
die M.-E. vom 7. Juli 1833 (Döllinger Bd. 33 ff.) Reinhard a. 93 fl.
Ueber die praktische Behandlung der Fälle eines Ue 7V. e r tr itt es in Todesge " a h r fnr welche
die Anwendung von § 10 der II. Verf.-Beil. Shwierigkeiten. asktet. vgl. "t 62 ff.,
insbesondere die M.-E. vom 31. Okt. 1878 a. a. O. S. 73 ff., dazu esstnaber 1 a a. O
S. 15 ff. insbes. S. 16 Anm. 5.
3) In der Praxis ist allerdings vielfach die Anschauung zur Geltung gekommen, daß die
in § 6 der II. Verf.-Beil. enthaltene Voraussetzung der erreichten Volljährigkeit für die Wahl des