172 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. § 11.
23. Okt. 1878) zur Pflicht macht und als Rechtsmittel gegen ein solches Verbot nur
die Beschwerde an die auf Grund von § 26 des Gesetzes eingesetzte Reichskommission
anerkennt (Sozialistenges. 88 6—8, 26 und die Strafbestimmungen in 88 17
und 18) 10.
2. Versammlungsrecht. In woörtlicher Uebereinstimmung mit § 29
Abs. 1 der Grundrechte des deutschen Volkes erklärt das Gesetz vom 26. Febr. 1850:
„Alle Staatsangehörigen haben das Recht, sich friedlich und ohne
Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht“:). Daß
zum Betriebe der den deutschen Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten die
für denselben Wahlberechtigten das Recht haben, „in geschlossenen Räumen unbewaffnet
öffentliche Versammlungen zu veranstalten“, ist in 8 17 des Reichstagswahlgesetzes aus-
drücklich ausgesprochen. Unbedingt untersagt sind aber nach bayerischem Rechte Volks-
versammlungen unter freiem Himmel innerhalb der Entfernung von sechs
Stunden von dem Orte, an welchem der Landtag seinen Sitz hats), so lange dieser
versammelt ist (Ges. vom 26. Febr. 1850, Art. 10). Auch abgesehen hievon
können Versammlungen, welche unter freiem Himmel abgehalten werden, bei
dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch schriftlichen Erlaß
der Distriktspolizeibehörde verboten werden (Art. 3). Die Abhaltung gewisser Versamm-
lungen muß der Obrigkeit angezeigt werden, während die Abhaltung anderer
obrigkeitlicher Erlaubnif bedarf.
Das erstere ist der Fall hinsichtlich der Versammlungen, „in welchen öffentliche An-
Lelegenheiten erörtert werden sollen.“ ddie Anzeigepflicht liegt sowohl dem ob, welcher zu
einer solchen Versammlung Söffentliche oder allgemeine Einladungen"“ erläßt (welche,
falls sie in Schrift= oder Drucksorm verbreitet werden, stets mit den Uassthren derjenigen,
welche sie erlassen, woeriehun sein müssen) als demjenigen, welcher „den Platz zu deren Ab.
haltung einräumt.“ Die Anzeige ist minbestens 24 Stunden vor dem Beginn der Versammlun-
unter Angabe von Ort, Zeit und Zweck derselben bei der Ortspolizeibehörde zu machen,
welche ihrerseits sofort über die ihr gemachte Anzeige eine Bescheinigung zur ertheilen und die
ihr vorgesehte Distriktspolizeibehörde von derselben zu benachrichtigen hat. ( 2.)
Versammlungen, welche auf öffentlichen Pläßen und Straßen in SE# dten und Ort.
schaften stattfinden sollen, bedürfen außer der Zustimmung der betreffenden Gemeindever-
waltung noch der Genehmigung der Distriktspolizeibehörde. Dies gilt auch von
„öffentlichen Aufzügen in Slädten und Ortschaften“ (mit Ansnahme der Cherkömm-
lichen kirchlichen Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, gewöhnlicher Leichenbegängnisse, Züge
der Hochzeitsversammlungen und hergebrachter Umzüge der Innungen“"). Verpflichtet zur Ein-
holung solcher Zustimmung und Genehmigung ist „der Unternehmer, Leiter oder Ordner"“ der
Versammlung oder des Auszuges, welchem von der Distriktspolizeibehörde „möglichst schleunig und
spätestens am folgenden Tage schriftlicher Bescheid zu ertheilen ist (Art. 4).
1) Ueber die Zustandigleit sunt Verpflichtung) des Reichs kanzlers zum Verbote aus-
ländischer Vereine vgl. § 6, Abs. 1 mit § 1, über die Wirksamkeit des Verbotes für das
Zganze Reichsgeb iet, und gegenüber „alen. Verzweigungen des Vereines“ und jedem „vorgeblich
neuen Verein, welcher sachlich als der alte sich darstellt“, vgl. § 6, Abs. 3 und über die auf
Grund des Verbotes nothwendiger Weise eintretende Beschlagnahme der Vereinskasse und aller
für Zwecke des Vereins bestimmten Gegenstände, dann über die zwangsweise Liquidation des Ver-
einsvermögens nach endgiltig gewordenem Verbote vgl. § 7. Ueber das rechtliche Schicksal der
kängetragenen Genossenschaften (welchen in disser Hinsicht auch die „registrirten Gesell-
schaften. des bayer. Gesetzes vom 29. zanpril n 1869 über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs-
und itesueebscn G.-B. 1869 S. 1153 ff., Art. 70 ff. gleichstehen), der eingeschriebe-
nen lfslassen und eertändegen tnicht eingeschrieben en) Kassenvereine, in denen
Vestredunyen von der im Sozialistengeset bekämpften Art in biner den öffentlichen Frieden gefähr.
denden Weise zu Tage treten, vogl. 9§ 2—5 des ebne und über die ganze hier und im Texte
behandelte Materie G. Meyer, 35 ibel 7
2) Ueber die Ableitung dieses Satzes aus Art. 8 der belgischen Verfassung und mittel-
bar aus dem ersten Titel der französischen Constitution von 1791 vgl. Pözl a. a. O. S. 443,
Anm
5) Selbstverständlich anch am Orte seines Sitzes. Pözl a. a. O. S. 469 ff.