85. I. Das Verhältniß Bayerns zur Reichsgewalt. 29
rathe selbst, im Falle der Verhinderung Preußens, diesen Vorsitz zu führen. Dann ist hier
zu erwähnen der in Ziff. VII des Schlußprotokolls anerkannte Anspruch Bayerns auf
Bevollmächtigung der bayerischen Gesandten durch den Kaiser zur
Vertretung der Reichsgesandten, in Fällen von deren Verhinderung, an Höfen,
wo solche bayerische Gesandte beglaubigt sind. In theilweisem Zusammenhange mit
dieser möglichen Vertretung von Reichsgesandten durch bayerische Gesandte ist in
Ziff. VIII des Schlußprotokolls der Anspruch Bayerns auf Anrechnung einer
angemessenen Vergütung bei Feststellung der Ausgaben für den diplomatischen
Dienst des Reiches anerkannt.
Die eigentlichen Reservatrechte Bayerns zeigen sich wesentlich als Ausnahmen
von der sonst verfassungsmäßig begründeten Zuständigkeit des Reiches zur Beaufsichtigung
und Gesetzgebung, zum Theile auch zu unmittelbarer Verwaltung. Eine Gruppe der
hierher gehörigen Bestimmungen dient dem Zweck, gewisse in Bayern eigen-
thümlich ausgebildete Institutionen zu erhalten: so vor Allem die in
Art. 4 Ziff. 1 der Reichsverfassung enthaltene Bestimmung, daß das Recht der Beauf-
sichtigung und Gesetzgebung des Reiches sich für Bayern nicht auf die Heimaths= und
Niederlassungsverhältnisse erstrecken soll. Wenn so vor Allem das von
der bayerischen Staatsgesetzgebung erst kürzlich geregelte Institut der „Heimath“ auf-
recht erhalten werden sollte, und demgemäß das Bundes-(Reichs-)Gesetz über den Unter-
stützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 in Bayern nicht zur Einführung kam, so bezieht
sich diese Bestimmung nicht auf die Einführung der Freizügigkeit an sich. Das
diese betreffende Gesetz vom 1. November 1867 hat wie im ganzen Deutschen Reiche so
auch in Bayern Geltung erlangt. Dagegen ist im Schlußprotokoll vom 23. November
Ziff. 1 als Folge aus dieser Beschränkung der Reichkompetenz gegenüber Bayern noch
der Ausschluß der Gesetzgebungsbefugniß des Reiches in Bezug auf das Verehelichungs-
wesen anuerkannt, jedoch eben nur, soweit ein Zusammenhang dieser Angelegenheit
mit den Heimaths= und Niederlassungsverhältnissen besteht, so daß also das norddeusche
Bundesgesetz vom 4. Mai 1868, die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der
Eheschließung betreffend, für Bayern nicht zur Anwendung kam, vielmehr das im
schon erwähnten bayerischen Gesetz vom 16. April 1868 Art. 33 ff. als Vorausselzung
gültiger Eheschließung geforderte distriktspolizeiliche Zeugniß über das Nichtvorhandensein
der in diesem Gesetz begründeten Hindernisse der Berehelichung und das im Art. 36
desselben Gesetzes, wegen des mit der Heimath zusammenhängenden Rechts auf Armen-
unterstützung gegenüber der Heimathgemeinde, dieser letzteren unter gewissen Voraus-
setzungen zustehende Recht des Einspruches gegen die Ausstellung dieses Zeugnisses nach
wie vor ihre Bedentung (allerdings wesentlich nur für die Landestheile diesseits des
Rheines) behalten und durch das auch für Bayern gültige Reichsgesetz vom 6. Fe-
bruar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung nicht
verloren haben.
Eine weitere in diesen Zusammenhang gehörige Bestimmung findet sich in Ziff. IV. des
Schlußprotokolls. Demnach sollen die im Reiche etwa zu erlassenden gesetzlichen Bestimmungen
über das Immobiliarversicherungswesen nur mit Zustimmung der bayerischen Regie-
rung in Bayern Geltung erlangen können. Die so statuirte Beschränkung der in der
Reichsverfassung Art. 4 Ziff. 1 bestimmten Gesetzgebungskompetenz des Reiches über das
Versicherungswesen wird im Protokolle begründet mit den in Bayern bestehenden besonderen
Verhältnissen bezüglich des Immobili sicherungswesens (Monopol der unter staatlicher
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Leitung stehenden Immobiliarbrand sicher sanstalt auf Gegenseitigkeit Gesetz für die
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diesrheinischen Landestheile vom 28. Mai 1852 [G. B. 1851/52 S. 641 ff.] jetzt