34 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. 86.
Die rechtliche Einheit des Staatsgebietes im Sinne seiner Untheilbarkeit und
Unveräußerlichkeit spricht die Verfassungsurkunde in Tit. III. § 1 aus!) im An-
schlusse an ältere Familienverträge des Wittelsbach'schen Hauses, vor Allem an den am
12. Oktober 1796 zu Ansbach zwischen den beiden Häuptern der zur Linie Pfalz-
Birkenfeld gehörigen Häuser Maximilian Joseph, damals noch Herzog von Zwei-
brücken, und Wilhelm, Herzog in Bayern, geschlossenen Vertrag (Art. 6, 28, 29),
und in weiterem Auschlusse an die schon in diesem Vertrage 2) (Art. 31) in Aussicht ge-
nommene sog. Domanial-Fideikommiß-Pragmatik des Kurhauses Pfalz-Bayern
vom 20. Oktober 1804 (R. B. 1805 S. 161 ff.), deren nach den veränderten Ver-
hältnissen „noch geltende“ Bestimmungen über die Unveräußerlichkeit des Staatsgutes in
die Verfassungs-Urkunde übertragen“ worden sind. (V. U. Tit. III. § 3.)
So ist insbesondere die Fassung der die Untheilbarkeit und Unveräußerlichkeit des Staats-
gebietes bestimmenden Vorschrift in der Verfassungs-Urkunde (Tit. III. K 1): „Der ganze Umfang
des Königreichs Baiern bildet eine einzige untheilbare unveränßerliche Gesammi- Masse aus sämmt-
lichen Bestandtheilen an Landen, Leuten, Herrschaften, Gütern, Regalien und Renten mit allem
Zugehör" fast wörtlich aus Art. II. der erwähnten Fideilommiß- Pragmatik übertragen, wobei
allerdings das Wort Gesa mmtmaf se an der Stelle des in der Pragmatik gebrauchten Wortes:
ideikommißmasse gesetzt is
In eigenthümlicher WWe ien von privatrechtlicher und staatsrechtlicher Anschauung werden so
Staatsgebiet, Unterthanen, staatliche Hoheitsrechte und Staatsvermögen unter die Gesammtbezeich-
nung „Staatsgut“ gebracht, wie denn diese, aus der Fideikommißpragmatik, wenn auch in ver-
ringertem Maße, in den dritten Titel der Verfassungsurkunde lbergegangene Mischung auch an
anderen Stellen der Verfassung sich zeigt, so vor allem in Tit. III. § 3, welcher unter Berufung
auf die Fideikommißpragmatik den in dieser bereits ausgesprochenen, allerdings nicht ausnahmslosen
Grundsatz der „ewigen Unveräußerlichkeit sämmtlicher Bestandtheile des Staatsguts“ wiederholt und
hieran den aus Art. IV. Abs. 1 der Fideikommißpragmatik allerdings nicht ganz unverändert
entnommenen Satz anschließt: „Vorzüglich sollen, ohne Ausnahme, alle Rechte der Souverainität
bei der Primogenitur ungetheilt und unveräußert erhalten werden“.
So sind denn auch die Fälle zulässiger Abtretung von Staatsgebiet unter den in der
Verfassung vorgesehenen Ausnahmen von dem Verbote der Veräußerung des Staatogutes begriffen.
Von den Ausnahmen, welche die Verfassungs-Urkunde nach ihrem Sprachgebrauche
von dem Verbote der Veräußerung des Staatsgutes macht, können auf Gebietsab-
tretungen bezogen werden „alle Staats-Handlungen des Monarchen, welche innerhalb
der Grenzen des ihm zustehenden Regierungs-Rechts nach dem Zweck und zur Wohl-
fahrt des Staats mit Auswärtigen über Stamm= und Staatsgüter (sic!) vor-
genommen werden, insbesondere, was an einzelnen Gütern und Gefällen — zur Grenz-
berichtigung mit benachbarten Staaten gegen anderen angemessenen Ersatz abgetreten
wird“. (V. U. Tit. III. § 6 Ziff. 1, 2.) Die Frage, ob der erste allgemein lautende
Theil dieses Satzes in seiner Anwendung auf die Abtretung von Staatsgebiet auf
Friedensschlüsse zu beziehen sei, ist nunmehr erledigt durch die Vorschrift der
Reichsverfassung Art. 11 Abs. 1, welche den Abschluß von Friedensverträgen allgemein
der Reichsgewalt (dem Kaiser) zuweist 5).
Bei Abtretungen zum Zwecke von Grenzberichtigung kann es sich aber selbstverständlich
nach dem Sinne der erwähnten Verfassungsbestimmung nur um den Verzicht auf Bestandtheile
des Staatsgebietes handeln, welche unzweifelhaft als solche gelten, da eben nur auf solche das
1) Daß auch durch die Bestimmung in Tit. II. § 1. der Verfassungs- . Urkunde über die Indi-
vidualsuccession in die Rechte der Krone die Untheilbarkeit des Staatsgebietes gesichert sei, bemerkt
mit Recht Pözl, Verfassungsrecht s, 62 Anm. 6
2 Schulze, Hausges. I. S.
3) Die Frage, ob zu einer li von Staatsgebiet eines Einzelstaates im Wege des
Friedensschlusses durch das Reich die Zustimmung des ersteren erforderlich ist, kann gleich allen
anderen allgemeinen, nicht auf Bayern speziell bezüglichen Fragen des Mich#rechte in dieser
Arbeit nicht erörtert werden. Vgl. Laband, Staatsr. des Deutschen Reiches I. S. 188 ff. und in
diesem Hdb. II. I. S. 25 Anm. 3, dessen Ausführungen an der erst erwähnten Stelle im Sinne der
Verneinung dieser Frage auch Pözl,G Verfassungsrecht S. 53 zustimmt.