40 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. 87.
von der Voraussetzung des Staatsbürgerrechts im engeren Sinne, insbesondere auch von
dem Glaubensbekenntniß unabhängig gemacht worden war, trat in Folge des Beitrittes
Bayerns zum Reiche eine gänzliche Umgestaltung der in Bayern geltenden Grundsätze
über die Voraussetzungen der Staatsangehörigkeit und insbesondere über den Unterschied
von Einheimischen und Fremden ein.
Die verfassungsmäßige Zuständigkeit der Reichsgewalt zur Beaufsichtigung und
Gesetzgebung in Bezug auf „das Staatsbürgerrecht“ (R. V. Art. 4 Ziff. 1) wurde
auch Bayern gegenüber begründet und das zunächst für den norddeutschen Bund ergangene
Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit vom
1. Juni 1870 wurde auch in Bayern eingeführt (Reichsges. vom 22. April 1871 § 9
R. G. B. S. 80). Waren so die bisher in Bayern über den Erwerb und den Verlust
des Indigenates geltenden Grundsätze nicht unerheblich geändert worden, so wurde ander-
seits der rechtliche Unterschied zwischen den bayerischen Staatsangehörigen und den
andern dem Deutschen Reiche Angehörigen zum guten Theile aufgehoben durch die Wir-
kungen des im dritten Artikel der Reichsverfassung für ganz Deutschland geschaffenen sog.
gemeinsamen Indigenates und durch viele einzelne auch in Bayern zur Ein-
führung gekommenen Gesetze des norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches.
Wenn ferner durch solche Gesetze die Bestimmungen des bayerischen Rechts über die
allgemeinen aus dem Unterthauenverbande fließenden Rechte mannichfach, sei es dem Inhalte,
sei es ihrer formellen Begründung nach geändert wurden, so ist dagegen der Grundsatz,
daß die Regelung der Voraussetzungen zur Ausübung politischer Rechte in einem
Einzelstaate Sache der Einzelstaatsgewalt und nicht der Reichsgwalt sei, gerade in dem
Schlußprotokoll zum Versailler Vertrag vom 23. November 1870 Ziff. II zur rechts-
förmlichen Anerkennung gelangt; aber allerdings nicht ausnahmslos, indem es hier all-
gemein als ein Theil der verfassungsmäßigen Gesetzgebungsbefugniß des Reiches über
Staatsbürgerrecht erklärt wurde, daß die Reichsgewalt zuständig sei, den Grundsatz der
politischen Gleichberechtigung aller Konfessionen durchzuführen.
Wenn dann im Zusammenhang hiermit das Gesetz vom 3. Juli 1869 die Gleichbe-
rechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung betreffend
in Bayern eingeführt wurde (Reichsges. vom 22. April 1871 § 2 R. G. B. S. 38),
so ist damit allerdings auch für die Voraussetzungen zur Ansübung politischer Rechte in
Bayern nun die wichtige Aenderung eingetreten, daß allgemein und prinzipiell
die Unabhängigkeit dieser Rechte vom religiösen Bekenntnisse zur Geltung gekommen,
damit zugleich aber der Landesgesetzgebung eine bestimmte Schranke für eine allenfallsige
Neuordnung der Voraussetzungen der Zuerkennung solcher Rechte gezogen ist).
Endlich hat auch die neueste bayerische Gesetzgebung die Bedeutung des
eigenthümlichen Rechtsinstitutes des Staatsbürgerrechtes noch weiter
vermindert, ohne indessen dasselbe ganz aufzuheben.
II. Die sog. Nichtbayern, Neichsangehörige und Ausländer. Von wesentlichster
Bedeutung für die neueste Gestaltung des in Bayern geltenden Staatsrechtes war vor
Allem die neuerdings hervorgetretene Unterscheidung zwischen den zwei verschiedenen
Arten der fremdem Staatsverbande Angehörigen, die zu der bayerischen Staatsgewalt
1) Vgl. hierzu die ringehende Darstellung in den Blättern für abministr. Praxis
B. XVIII. 1868 S. 1 ff., 17 ff., 34 ff. und Pözl, Verfassungsrecht, 3. Aufl. 1 7 ff., 255 ff.
2) Ueber die Tragweite dieses Ersehes, welches insbesondere die un zur Theil-
nahme an der Gemeindeverwaltung und zur Bek leidung öffenttgnenn Aemter aals
vom religiösen Bekenninisse unabhängig erklärt, vgl. Hinschins in diesem Hdb. I. 1. S. 351
Anm. 5, über seine Wirkung auf das in Bayern Lelltende. Recht s. die Erläuterungen von Fwi'° el.
die Reichs- Verfassungs-Urkunde, Nördlingen 1871 S. 245 ff.