S§ 11. Die Rechte der Unterthanen. 85.
Das Reichsstrafgesetzbuch enthält in §8§ 343— 45 eine Reihe von Strafbestim-
mungen gegen Beamte zum Schutze gegen Willkürlichkeit in der Untersuchung und Straf-
vollstreckung, (gegen die Anwendung von Zwangsmitteln in Untersuchungen, um Ge-
ständnisse und Aussagen zu erpressen, gegen die vorsähliche Beantragung oder Beschließung
der Eröffnung oder Fortsetzung einer Untersuchung zum Nachtheil einer Person, deren
Unschuld dem beantragenden oder beschließenden Beamten bekannt ist, gegen die vor-
sätzliche oder fahrlässige Vollstreckung einer überhaupt nicht oder nicht nach der Arl oder
dem Maß zu vollstreckenden Strafe) 7.
c) Sicherheit vor willkürlicher Verhaftung. Das in V.-U. IV. 8 8,
Abs. 3 weiter ausgesprochene Verbot willkürlicher und formloser Verhaftung
bezieht sich in seiner Verbindung mit dem Verbote willkürlicher und formloser Ver-
folgung allerdings ebenfalls zunächst auf das Strafverfahren, soll aber in seiner
allgemeinen Fassung gewiß auch Sicherheit vor ungerechtfertigter Civilhaft,
und vor jeder gesetzwidrigen polizeilichen Haftnahme gewähren. Auch die
Ergreifung zum Zwecke zwangsweiser Vorführung in ihren verschiedenen mög-
lichen Anwendungen muß hier in Betracht kommen ?). Die Voraussetzungen, unter
denen die eben angeführten Beschränkungen der persönlichen Freiheit gerechtfertigt sind,
bestimmen sich zum Theile nach Landesrecht, zum sehr großen Theile aber nach neueren
Reichsgesetzen, welche an die Stelle älterer, die gleichen Gegenstände behandelnder Landes-
gesetze getreten sind.
Auch hier kommt vor Allem die Justizgesehgebung des Jahres 1877 in Betracht, soferne
sie die Haftnahme und zwangsweise Vorführung als prozessnalische Maßnahmen regelt, vor
Allem die Bestimmungen der R.-St.-P.-O. über Untersuchungshaft und vorläufige Fest-
nahme im Strafverfahren (§§ 112•—132)7.
Im Anschlusse an diese reichsgesetzlichen Vorschriften hat das Ausführungsgeseß zur
R.-St.-P.-O. Bestimmungen getroffen über die Festnahme als vorläufige polizeiliche
Maßregel: demnach sind die Behörden und Beamten des Polizei= und Sicherheits-
dienstes berechtigt, bei allen strasbaren Handlungen denjenigen, welcher auf frischer That
betreten wird, vorläufig fest zunehmen, wenn die Festnahme nothwendig ist, um die Fort-
setzung der strafbaren Handlung zu verhindern. Der Festgenommene ist unverzüglich,
soferne er nicht wegen Wegfalls der Ursache der Festnahme sofort wieder in Freiheit gesetzt wurde
dem Amtsrichter des Bezirks, in welchem die Festnahme erfolgt ist, vorzuführen, welcher die
Freilassung anzuordnen hat, sobald eine Fortsetzung der strafbaren Handlung nach den Um-
ständen mit Grund nicht mehr zu besorgen ist, und soferne nicht zugleich ein anderer, die Festnahme
riniu.u’“b om 7. Mai 1874 § 29. Ungebi## bastaafen (vgl. über solche Art. 7 des
Auaf.= 9 zur R.-St.-P.-O.) kommen hiebei nicht in Betr
)Zum Schutze der persönlichen Sicherheit dienen 7 die Bestimmungen in 8§§ 339, 340
des r ebb.
2) Wenn sie auch nicht eigentlich unter den Begriff der Verhaftung fällt, so ist ihre
mißbräuchliche Anwendung doch gleichfalls durch das allgemeine, in der V.-U. ausgesprochene
Prinzip der Sicherheit der Person ausgeschlossen; auch derührt sie sich in ihrer Anwendung, namentlich
in den rechtlichen Voraussetzungen derselben mannichfach mit der Verhaftung, so vor allem im
Strafverfahren.
3) Vgl. außerdem über Vorführung und Verhaftung de- Angeklagten im Strafverfahren
R.-St.-P.-O. 8§ 133— 35, 215, 229 370, 371, 427 und zum Zwecke der Strafvollstreckung
489 (über die Verbringung des Ereebded in eine osentiche PMernanstalt § 81), über Vor-
führung und Lrltgahie von Zeugen im Civilprs zeß N.-C.-P.-O. §§ 345, 355 und im Straf-
verfahren R.-St.-P.= O. §68 50, 69 (ferner R.-S Wert. 8 95 über die Anwendung der Haft zur
Erzwingung der Herausgabe von möglichen Veweiawditieln und einzuziehenden Gegenständen), sodann
über die Haft zum Zwecke der Zwangs vollstreckung im Civilverfahren R.-C.-P.-O. 85 775,
782 ff. und (perfönlicher Sicherheitsarrest) 798 ff. und endlich über zwangsweise Vorführung und
Verhaftung des Gemeinschuldners im Konkursverfahren Konk.-Ord. 8§ 93, 98, dazu über
sofortige Vollstreckung von Haft als Ordnungsstrafe wegen ungebührlichen Benehmens
und über vorläufige Festnahme wegen Begehens einer strafbaren Handlung in der Gerichts-
sitzung die Bestimmungen in 9§ 178, 185 des R.-G.-V.-G., welche nach dem bayer. Ausf.-Ges.
vom 23. Febr. 1879 Art. 78 auch in den nicht zur ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit gehörenden
Angelegenheiten entsprechende Anwendung finden.