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Eine wichtige, bisher nur kurz behandelte und meist verneinte Frage ist
es, ob dem Bürger eines Staates aus dem Völkerrechtsbruch, den fremde
Staatsgewalt begeht, gegen diese ein unmittelbarer Schadenersatzanspruch
erwächst. Bisher hat man sich meistens zu der Ansicht bekannt, aus Völker-
rechtsverletzungen könnten nur Ansprüche von Staat zu Staat entstehen, nicht
aber Ansprüche des durch den Rechtsbruch Geschädigten gegen den schädigen-
den Staat.) Die weitere Entwicklung des Völkerrechts wird aber wohl nach
der Richtung hin gehen müssen, daß man die Völkerrechtsverletzung, juristisch
gesprochen, als Privatrechtstitel anerkennt. Daß man also dem durch
einen Bruch des Völkerrechts geschädigten Bürger unmittelbare Ansprüche
gegen den schädigenden Staat gewährt. Freilich würden derartige Klagen
nur vor den Gerichten des schuldigen Staates auszufechten sein, da, wie
vorhin ausgeführt, ein selbständiger Staat sich nicht der Gerichtsbarkeit
eines fremden Staates unterwerfen will und kann. Ebenso wie man aber
gegen den Staat Rechtsansprüche dann für zulässig erachtet, wenn Vor-
schriften des innerstaatlichen Rechts verletzt werden, dürften solche Ansprüche
begründet erscheinen, wenn anerkanntes Völkerrecht verletzt wirds). Da
gerade auf seiten der feindlichen Staaten eine Anzahl von Völkerrechts-
verletzungen begangen worden ist, durch welche deutsche Werte — Ver-
mögenswerte, aber auch Gefundheit und oft gar das Leben — geschädigt
worden sind, so ist es von großer Wichtigkeit, festzustellen, ob diese Deutschen
nach Friedensschluß vor ausländischen Gerichten gegen den schuldigen Staat
klagen können. Im allgemeinen wird man, wenn hier nicht das Reich ein-
tritt, von solchen Klagen wohl absehen, schon aus dem Grunde, daß ein
großer Teil der Geschädigten nicht mehr das Geld haben wird, um die,
gerade im Ausland beträchtlichen Kosten des Rechtsstreits vorzuschießen.
Es wäre aber doch denkbar, daß, besonders bei erheblichen Streitwerten,
die Frage einmal zum Austrag gebracht werden wird. Die Gerichte der
feindlichen Staaten würden sich dann darüber schlüssig zu machen haben, ob
sie die von der Verwaltung — vielleicht in der Annahme der Staatsnot-
wendigkeit — begangenen Völkerrechtsbrüche als Schadenersatzgrund aner-
kennen wollen oder nicht. Es sei aber hier gleich betont, daß die Frage sehr
zweifelhaft ist, und daß die bisher herrschende Meinung dem einzelnen
Bürger aus der Völkerrechtsverletzung eines fremden Staates keine Ersatz-
ansprüche gewährt.
übrigens würde die hier besprochene Frage auch für das Verhältnis
zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Bürgern von Bedeutung werden.
1) Hierüber siehe Hofer, Schadenersatz im Landkrieg, S. 48; Zitelmann, DJ3.
1915, 17 und Kaufmann, Kriegführende Staaten als Gläubiger und Schuldner.
t 2) Die einzelnen Ansprüche aus dem Völkerrecht werden im nächsten Abschnitt
erörtert.