X. Die Gegenwart.
„Blühe, deutsches Vaterland!“
121. Das neue deutsche Reich.
1. Das deutsche Reich zählt jetzt über fünfzig Millionen Ein-
wohner. An der Spitze steht der Kaiser, um des Volkes Angelegen-
heiten in Krieg und Frieden zu regieren. Bei seinem Regierungs-
antritte schwört er auf die Rrichsverfassung. Die Reicheverfassung ist
das Reichsgrundgesetz, welches in großen Zügen bestimmt, wie die
Regierung des Reichs geschehen soll. — Neben dem Aaiser stehen
selbstherrliche Fürsten, die die Regierung ihrer Länder beforgen, unter
ihm hohe Reichsbeamte, die des Kaisers Befehle im Reiche vollziehen.
Die Fürsten müssen bei ihrem Regierungsantritte auf die Landes-
verfassung schwören und dann ihr Land danach regieren. Der höchste
Reichsbeamte ist der Reichskanter. Die höchsten Verwaltungsbeamten
des Landes heisen Minister: sie müssen sich uberall nach den be-
stehenden Gesetzen richten und sind dem Kaiser und dem Volke in
gleicher Weise verantwortlich. Alle Beamte müssen bei ihrem Dienst-
antritte schwören, daß sie das ihnen übertragene Amt getreu und nach
den bestehenden Vorschriften und Gesetzen verwalten wollen.
2. Die alten Stände und ihre Unterschiede sind mehr oder
weniger verschwunden. Die Fürsten streiten nicht mehr wider den
Kaiser, sondern erkennen gern und willig seine Führerschaft an. und
der Kaiser sucht in keiner Weise die Gewalt der Fürsten zu schmälern.
Edelleute kreiben bürgerliche Hantierung; Bürger besitzen Edelgüter;
Bauern treiben städtische Gewerbe, und Bürger bebauen den Acker.
Jeder Deutsche wird mit dem vollendeten fünfund zwanzigsten Lebens-
jahre Staats bürger und besitzt dann alle Rechte und Pflichten eines
solchen bio an sein Ende, wenn er nicht unter Vormundschaft steht,
sich im Konkurse befindet, Armenunterstützung empfängt oder mit Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft ist.
3. Leder Staatsbürger kann an der Gesetzgebung teilnehmen.
Der Kaiser, der Bundesrat und der Reichstag schaffen die Kiiche-
gesetze— Die Landesgesetze dürfen den Reichsgesetzen nicht widersprechen,