124 X. Die Gegenwart.
oder Tadel, Lohn oder Strafe verdient. Daß Gott der König aller
Könige und Herr aller Herren ist, daß ihm die höchste Ehre, der erste
und letzte Gehorsam gebührt, hat der Kaiser bei ernsten und heitern
Anlässen des öftern zum Ausdrucke gebracht. Der Kaiser sucht auch
nicht in kriegerischen Eroberungen, sondern in Werken des Friedens
und in der Wohlfahrt fseines Volkes den höchsten Ruhm. Das hat er
durch viele Reisen bekundet, die er gleich am Anfange seiner Regierung
zu den Fürsten des Deutschen Reichs und zu benachbarten Kaisern
und Königen unternahm:; denn diese Reisen hatten den Zweck, durch
freundschaftlichen Verkehr dem deutschen Volke den Frieden zu sichern
und zu erhalten. Milde und nachgiebig dem Freunde, der friedfertig
seine Straße zieht, strenge und standhaft gegen den Haderer, der un-
zufrieden und aufrührerisch in innerm und äußerm Streite des Volkes
Ruhe und Frieden gefährdet: so steht der Kaiser vom ersten Tage
seiner Regierung an bis heute da.
123. BVas Heer und die Marine.
1. Die von Preußen zur Zeit der Knechtschaft eingeführte all-
gemeine Wehrpflicht ist samt der preußischen Militärgesetzgebung
durch die Reichsverfassung jetzt in ganz Deutschland giltig. Jeder
Deutsche ist danach wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser
Pflicht nicht vertreten lassen. Die Wehrpflicht zerfällt in die Dienst-
pflicht und die Landsturmpflicht. Jeder wehrfähige Deutsche ist dienst-
pflichtig, kann aber wegen zu hoher Losnummer oder häuslicher Ver-
hältnisse von dieser Pflicht befreit werden. Die Militärpflicht beginut
mit dem 1. Januar des Kalenderjahres, in welchem der Wehrpflichtige
das zwanzigste Lebensjahr vollendet. Bei Beginn der Wehrpflicht
müssen die Wehrpflichtigen sich in der Zeit vom 15. Januar bis
1. Febrnar beim Ortsvorsteher ihres Wohnorts zur Eintragung in die
Rekrutierungs-Stammrolle anmelden. Wer nicht in dem Orte der An-
meldung geboren ist, muß dabei ein Geburtszeugnis vorlegen. Nach
der Anmeldung werden die Militärpflichtigen durch den Gemeinde-
vorsteher zur Musterung beordert. »
2. Die Stärke des Heeres wird bei Friedenszeiten im Wege
der Reichsgesetzgebung auf eine bestimmte Reihe von Jahren fest-
gestellt und beträgt ungefähr ein Prozent der Bevölkerung. Der
Kaiser bestimmt alljährlich die Zahl der einzustellenden Rekruten.
Die gesamte Landmacht des Reichs bildet ein einheitliches Heer,
welches im Kriege unter dem Oberbefehle des Kaisers steht. Das
bayerische Heer hat noch eine ziemlich selbständige Stellung. Im
Frieden ist sein oberster Herr der bayerische König. Jeder Soldat
muß darum in dem Fahneneide dem Kaiser und dem Landesherrn
Treue und Gehorsam schwören und erhält schwere Festungsstrafe, wenn
er diesen Eid bricht.