X. Die Gegenwart. 127
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erkannt werden. Dem unter Polizeiaufsicht Gestellten kann der
Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt, und seine Wohnung
kann jederzeit von der Polizei untersucht werden. — Eine Hand-
lung kann aber mur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn
diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen
wurde.
–. W.
126. Vas Königreich Bayern.
1. Seit dem Jahre 1818 ist Bayern eine konstitutionelle Erb-
monarchie. Der Landesfürst führt den Titel König. Er ist unver-
antwortliches Staaksoberhaupt; seine Person ist heilig und unverletzlich;
er regiert das Land nach den bestehenden Gefetzen; er ernennt die
Beamten und Offiziere. Bei seinem Regierungsantritte muß er den
Eid auf die Verfassung schwören. Bei dem Erlasse neuer Gesetze
bedarf er der Zustimmung von Landtag und Reichsrat. Alle Ver-
fügungen des Königs müssen von einem Minister unterzeichnet sein;
dieser übernimmt mit seiner Unterschrift die Verantwortung. Gegen-
wärtig haben wir sechs Ministerien in Bayern, deren jedes seinen be-
sondern Wirkungskreis hat. Der König erhält für sich und seine
Familie aus der Staatskasse einen Gehalt, die sogenannte Zivilliste.
Der König hat das Recht der Begnadigung und der Verteilung von
Orden und Titeln.
2. Die Verfassung sichert jedem Staatsbürger bestimmte Rechte
und Pflichten. Alle Staatsbürger sind vor dem Gefetze gleich. Nie-
mand darf seinem zuständigen Gerichte entzogen werden. In Glaubens-
und Religionssachen herrscht Gewissensfreiheit. Jeder gesunde und
kräftige Mann ist zum Kriegsdienste verpflichtet. Es herrscht Preß-
freiheit. Die Steuern werden ohne Ansehen der Person nach dem
Vermögen aufgestellt und ausgerechnet. Personen-, Eigentums= und
Rechtssicherheit sind jedem Einwohner des Staates gewährleistet.
3. Das Volk nimmt durch seine Vertretung Anteil an der Gesetz-
gebung und den Steuererlassen. Die Volksvertretung gliedert sich in
Landtag und Reichsrat. Beide werden vom Könige einberufen und
geschlossen. Der Reichsrat oder die erste Kammer besteht aus den
volljährigen königlichen Prinzen, aus erblichen Mitgliedern (meist
Grafen und Fürften) sowie aus lebenslänglichen Reichsräten. Der
König hat das Recht, Reichsräte zu ernennen. Die zweite Volks-
vertretung ist der Landtag oder die Kammer der Abgeordneten. Wer
einundzwanzig Jahre alt ist, das bayerische Heimatsrecht besitzt, den
Eid auf die Verfassung geschworen hat, in der Wählerliste steht und
direkte Stenern entrichtet, darf sich an den Wahlen zum Landtage be-
teiligen. Ein Wahlkreis von 31 500 Seelen wählt einen Abgeordneten,
doch ist deren Wahl eine indirekte, d. h. die Bürger (Urwähler)
wählen erst Wahlmänner und diese küren dann den Abgeordneten. Um
Wahlmann werden zu können, muß man fünfundzwanzig Jahre alt