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72 VI. Die Zeit des dreißigjährigen Krieges.
vernahm es wie ein Märchen, daß jetzt eine Zeit nahr, in welcher die
Saat zur Ernte reifen würde, und in welcher die Menschen nicht mehr
nötig hätten, sich in halbverfallenen Schlupfwinkeln zu verstecken.
2. Die Friedensbedingungen waren hart. Die schönften Grenz-
länder wurden von Deutschland abgerissen; Frankreich erhielt Teile
des Elsaß; Schweden verlangte fünf Millionen Thaler Kriegskosten.
Vorpommern und die Bistümer Bremen und Verden, so daß eine
fremde Macht die Mündungen der Oder, Elbe und Weser besetzt hielt.
Die Reichsstände, katholische und evangelische, sollten ihre alten Rechte
und Freiheiten behalten, ja es wurde jedem unter ihnen erlaubt,
Festungen zu bauen, Soldaten zu werben, Kriege zu führen und
Bündnisse zu schließen, mit wem er wolle, nur nicht gegen Kaiser und
Reich. Damit waren die deutschen Reichsstände, etwa 360 an Zahl,
völlig selbständige Fürsten geworden. Die Kaisermacht war jetzt voll-
ständig gebrochen und nicht viel mehr als der Titel davon übrig geblieben.
3. Achtzehn Millionen Einwohner, blühende. reiche Städte und
wohlhabende Dörfer hatte Deutschland beim Beginne des Krieges ge-
habt, jetzt hatte es nur noch acht Millionen, und das Land glich einer
Wüste. Zehn Meilen konnte man wandern, ohne einen Menschen, ein
Vieh oder gar einen Sperling zu sehen. In den Dörfern, die noch
erhalten waren, lagen die Häuser voll Leichen, weil niemand dagewesen,
der sie begraben, beklagt und beweint hatte. — Das war die Frucht
des Unfriedens.
73. Aberglaube und Herenprozesse.
1. Während der langen Kriegszeit war eine allgemeine Ver-
wilderung und Entsittlichung eingerissen. Schulen und Kirchen standen
leer, und der Aberglaube nahm mehr denn je überhand. Viele
glaubten, man könne sich hieb-, stich, und schußfest machen und Frei-
tugeln gießen, die jedes Ziel sicher träfen. Die Soldaten kanften von
fahrenden Leuten Schutzbriefe, um vor Verwundungen sicher zu sein;
sie wandten geheime Mittel an, um vergrabene Schätze zu finden, und
schlossen Bündnisse mit dem Teufel, um Reichtum zu erlangen.
2. Zu den schlimmsten Verirrungen jener Tage gehörte der Glaube
an Heren. Nach der Meinung des Volkes konnten diese durch des
Teufels Kraft schlechtes Wetter machen, Mißwachs herbeiführen, fremden
Kühen die Milch entziehen, durch bösen Blick Menschen und Vieh
töten u. a. m. Auch glaubte man, sie ritten in der Walpurgisnacht
auf Ofengabeln. Besenstielen, Katzen und Ziegenböcken durch die Luft
zum Herensabbat nach dem Brocken oder einem andern Berge, um--
dort mit dem Teufel zu tanzen und andern Götzendienst zu treiben-
Jeder wollte sich dann vor ihrer Einkehr schützen, indem er drei Kreuze
an die Thüre seiner Wohnung machte. *
3. Der Herenglaube ergriff auch die Fürsten und Richter des
Volkes. Sie wandten entsetzliche Mittel an, um die Heren auszu-
rotten. Kein Alter kein Geschlecht, kein Stand schützte vor Ver-