78 B. Erläuterungen z. Reichs- u. Staatsangehörigkeitsgesetz.
auf Aufnahme zuzulassen oder abzulehnen sei. Sie habe unter allen
Umständen verhindern können, daß eine ihr nicht erwünschte Persönlich—
keit in ihren Staatsverband aufgenommen werde. Durch das Gesetz
von 1870 sei dies anders geworden. Denn jetzt könne jeder Bundesstaat
einem Ausländer durch die Aufnahme einen Rechtsanspruch auf Auf—
nahme in jedem anderen Bundesstaate verschaffen. Es sei denkbar,
daß ein Ausländer, dem ein Bundesstaat die Aufnahme verweigert
habe, in einem anderen Bundesstaat aufsgenommen werde, dann in jenen
ersten Staat zurückkehre und dort nunmehr die Aufnahme auf seinen
Antrag erhalten müsse. Einen stärkeren Eingriff in die Souveränität
des Bundesstaats, der zuerst die Aufnahme verweigert habe und sie nach-
träglich doch habe bewilligen müssen, könne man sich auf diesem Gebiete
kaum vorstellen. Um dem abzuhelfen, hätten die verbündeten Regierungen
den mehrerwähnten Bundesratsbeschluß vom 22. Januar 1891 gefaßt.
(Nach diesem Beschlusse sollte über Naturalisationsgesuche von früheren
Reichsangehörigen und von Reichsausländern, die sich in einem anderen
Bundesstaat aufgehalten hatten und noch aufhielten, erst entschieden
werden, nachdem sich die Behörden der Bundesstaaten geäußert hätten,
die als ursprüngliche Heimatstaaten, als frühere oder gegenwärtige
Aufenthaltsstaaten an der Entscheidung interessiert wären.) Dieser
Beschluß decke aber lediglich die Fälle der Aufnahme von früheren
Reichsangehörigen und solchen Reichsausländern, die sich in einem
anderen Bundesstaat aufgehalten haben oder noch aufhalten. Er hindere
also eine Umgehung nicht vollständig.
Gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage wolle der Entwurf die
Souveränität der Einzelstaaten insoweit wiederherstellen, als es nach
den Grundsätzen der Reichsverfassung überhaupt möglich sei. Nach der
Regierungsvorlage habe jeder Bundesstaat die Möglichkeit, Bedenken
dagegen zu äußern, daß ihm auf die bezeichnete Art ein Ausländer
aufgenötigt werden solle; würden diese Bedenken von dem um die Auf-
nahme angegangenen Bundesstaate nicht geteilt, so finde ein Ausgleich
der Meinungsverschiedenheiten durch die hierzu berufene Stelle, den
Bundesrat, statt.
Dabei handle es sich nicht etwa um theoretisch konstruierte Fälle.
Tatsächlich seien solche Fälle trotz der Bestimmungen des mehrerwähnten
Bundesratsbeschlusses leider nicht selten vorgekommen. Sie seien vor-
gekommen aus Unkenntnis der früheren Vorgänge, indem z. B. ein Aus-
länder, der nach Ablehnung seines Aufnahmegesuchs in einem Bundes-
staat in seine Heimat zurückgekehrt sei und demnächst in einem anderen