Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

Herr v. Jagow erwiderte sofort, er bedauere, sagen zu müssen, daß seine 
Antwort nein sein müsse, weil, da die deutschen Truppen die Grenze an 
diesem Morgen überschritten hätten, die belgische Neutralität bereits ver- 
letzt sei. Herr v. Jagow erklärte die Gründe, aus denen die kaiserliche 
Regierung gezwungen sei, diesen Schritt zu tun. Es sei für die Deutschen 
eine Frage von Leben und Tod. Hätten sie die südlichere Route ein- 
geschlagen, so könnten sie angesichts der geringen Zahl der Straßen und 
der Stärke der Festungen nicht hoffen, ohne furchtbaren Widerstand und 
folglich großen Zeitverlust vorwärts zu kommen. Dieser Zeitverlust würde 
bedeuten, daß die Russen Zeit gewinnen, um ihre Truppen an die deutsche 
Grenze zu schaffen. Raschheit der Aktion sei der große deutsche Vorteil, 
während der russische in einem unerschöpflichen Vorrat an Truppen liege. 
Ich machte Herrn v. Jagow klar, daß dieses fait accompli der Verletzung 
der belgischen Grenze die Situation, wie er sofort verstehen werde, überaus 
ernst gestalte und ich befragte ihn, ob nicht noch jetzt Zeit sei, zurückzu- 
gehen und mögliche Folgen zu vermeiden, die er und ich beklagen würden. 
Er erwiderte, daß es aus den angegebenen Gründen jetzt für die Deutschen 
unmöglich sei, zurückzugehen. 
Während des Nachmittags empfing ich Ihr ferneres Telegramm vom 
gleichen Tage und unterrichtete den Staatssekretär davon, daß, falls die 
kaiserliche Regierung nicht in dieser Nacht bis 12 Uhr die Versicherung 
geben könne, sie würde die Verletzung der belgischen Grenze nicht weiter 
fortsetzen und ihren Vormarsch zum Stillstand bringen, ich instruiert worden 
sei, meine Pässe zu verlangen und die kaiserliche Regierung zu informieren, 
daß Seiner Majestät Regierung alle in ihrer Macht liegenden Schritte zu 
ergreifen haben würde, um die Neutralität Belgiens zu erhalten und einen 
Vertrag zu wahren, daß Deutschland ebenso unterschrieben habe wie sie 
selbst. Herr v. Jagow erwiderte, er könne mir zu seinem großen Bedauern 
keine andere Antwort erteilen als die bereits früher am Tage gegebene, 
nämlich, daß die Sicherheit des Reiches es absolut notwendig mache, daß 
die kaiserlichen Truppen durch Belgien marschierten. Ich gab Seiner Ex- 
zellenz einen schriftlichen Abriß Ihres Telegramms, erklärte, Sie hätten 
12 Uhr als die Zeit bestimmt, wo die Britische Regierung eine Antwort 
erwarte und fragte ihn, ob es angesichts der schrecklichen Folgen, welche not- 
wendig eintreten müßten, nicht noch sogar im letzten Momente möglich sei, 
die deutschen Antwort zu überlegen. Er erwiderte, daß, selbst wenn die 
gegebene Frist 24 Stunden oder mehr wäre, seine Antwort die gleiche sein 
musse. Ich sagte, daß ich in diesem Falle meine Pässe zu verlangen haben 
würde. 
Diese Unterredung fand ungefähr um 7 Uhr statt. In einer kurzen 
Unterhaltung, die folgte, drückte Herr v. Jagow sein schmerzliches Bedauern 
über den Zusammenbruch seiner und des Reichskanzlers gesamter Politik 
aus. Diese sei gewesen, mit Großbritannien in Freundschaft zu leben und 
hierauf durch Großbritannien Frankreich näherzutreten. Ich sagte, dieses 
plötzliche Ende meiner Berliner Arbeit sei auch für mich ein Gegenstand 
tiefen Bedauerns und der Enttäuschung. Er müssse jedoch einsehen, daß 
unter den gegebenen Umständen und angesichts unserer Verpflichtungen die 
britische Regierung gar nicht anders habe handeln können, als sie getan. 
Ich sagte weiter, daß ich gern den Reichskanzler besuchen würde, weil es 
vielleicht das letzte Mal sei, wo ich Gelegenheit haben würde, ihn zu sehen. 
Er ersuchte mich, dies zu tun. Ich fand den Reichskanzler sehr aufgeregt. 
 
	        
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