88 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. 847.
Als besondere Gerichte bestanden Handelsgerichte, außerdem eine beschränkte Gerichts-
barkeit der Bürgermeister in bürgerlichen und Strafsachen. Für jeden Gerichtshof war ein
Staatsanwalt nebst den erforderlichen Stellvertretern zu bestellen.
In engster Verbindung mit dieser Gerichtsverfassung stand eine Verbesserung der bürger-
lichen Prozeßordnung wie der Strafprozeßordnung, beide auf dem Grundsatze des öffentlichen
und mündlichen Verfahrens beruhend, eine Neuordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des
Notariats, die Einführung der neuen Organisation der inneren Verwaltung, die Einführung
eines Polizeistrafgesetzduches, die Uebertragung auch der Polizeistrafgewalt an die Gerichte!)
und eine neue Anwaltsordnung ?).
Besondere Gesetze?) regelten die Rechts= und Besoldungsverhältnisse der Richter nach
dem Grundsatze der Unabhängigkeit und des bestimmten Vorrückens in den Bezügen.
Baden erfreute sich hiernach einer Rechtspflege-Einrichtung, die in allen wesentlichen Be-
ziehungen befriedigte. Die Ueberleitung in die durch die Reichsgesetze über Gerichtsverfassung?),
Rechtsanwaltschaft"), Civilprozeß"), Konkurs') und Strafprozeß") geschaffenen oder gebotenen
Formen auf den 1. Oktober 1879 — für Baden, abgesehen von der Einheitlichkeit, meist keine
Verbesserung — wurde durch ein umfassendes Gesetz vom 3. März 1879) bewirkt und vollzog
sich ohne Schwierigkeit.
Weitere Gesetze vom gleichen Jahre enthielten eine Neuregelung der Verwaltung der frei-
willigen Gerichtsbarkeit und des Notariats 10), die Rechtsverhältnisse der Richter und ihre Be-
soldungen1y.
Durch die oben erwähnten Reichsjustizgesetze ist „die ordentliche streitige Gerichts-
barkeit und deren Ausübung“, d. h. diejenige Gerichtsbarkeit, welche von den ordentlichen
Gerichten in den ihnen zugewiesenen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen
auszuüben ist, nicht auch die freiwillige Gerichtsbarkeit (Rechtspolizei) und die Aufsicht
über das Justizwesen einheitlich für das Deutsche Reich geregelt. Doch ist auch auf die-
sem Gebiete der Landesgesetzgebung ein gewisser Spielraum für Ausführung oder die Son-
derbestimmung gewährt.
Hier ist demnach nur dasjenige anzuführen, was auf Landesrecht beruht.
1. Als ständige ordentliche Gerichte bestehen: sechzig Amtsgerichte, theilweise mit meh-
reren Richtern besetzt, sieben Landgerichte 12), ein Oberlandesgericht (in Karlsruhe) 1).
Die Sitze und Bezirke der Landgerichte und der Amtsgerichte sind zunächst durch
Verordnung bestimmt worden. Seit dem 1. Oktober 1884 können die Sitze und Bezirke
der Landgerichte nur durch Gesetz verändert werden 9.
Die Bezirke der Amtsgerichte decken sich mit jenen der Bezirksämter (s. u.); hier-
von besteht eine Ausnahme nur insofern, als die Bezirke von acht Bezirksämtern je zwei
Amtsgerichtsbezirke umfassen.
Die Bezirke der sieben Landgerichte treffen mit den für die Selbstverwaltung be-
stehenden elf Kreisen (s. u.) nicht vollständig zusammen, auch nicht vollständig in der Art,
daß zwei Kreise ganz einem Landgerichtsbezirke zugetheilt wären.
1) Ldh. Verord. v. 15. Juli 1864, Reg Bl. Nr. XXIX, S. 316.
2) Ges. v. 22. Sept. 1864, Reg. Bl. Nr. L. S. 661.
3) Vom 7. Okt. 1865, Reg.Bl. Nr. XLVIII, S. 617 u. 621, 16. Febr. 1872, G.u. V. Bl.
Nr. VII, S. 99, 29. März 1876. G. u. V. Bl. Nr. XIII, S. 89.
4) V. 27. Febr. 1877, R.G. Bl. Nr. 4, S. 41.
5) V. 1. Juli 1878, R.G.B. Nr. 23, S. 177.
6) V. 30. Jan. 1877, R.G.B. Nr. 6, S. 83.
7) V. 10. Febr. 1877, R.G.B. Nr. 10, S. 351.
8) V. 1. Febr. 1877, R.G.B. Nr. 8, S. 253. 9) G. u. V. Bl. Nr. X, S. 91.
10) V. 6. Febr. 1879, G. u. V. Bl. Nr. XI, S. 131.
11) V. 12. Febr. 1879, G. u. V. Bl. Nr. XIV, S. 173, u. v. 20. Febr. 1879, G. u. V. Bl. Nr. XIV,
S. 179, beide Gesetze durch das Beamtengesetz v. 24. Juli 1888 wieder aufgehoben.
12) Ldh. Verord. v. 23. April 1879, G. u. V. Bl. Nr. XXII, S. 279; in Konstanz, Waldshut,
Freiburg, Offenburg, Karlsruhe, Mannheim, Mosbach.
15 Angef. Einf.Ges. v. 3. März 1879, § 1.
14) Ebendas. § 1; ldh. Verord. v. 23. April 1877, G. u. V. Bl. Nr. XXV, S. 279.