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Ende des Jahres 1894 bestanden in drei Städten Gewerbegerichte, ohne Einschränkung auf
bestimmte Arten von Gewerbe= oder Fabrikbetrieben.
4. Auf Grund des § 142 des R. Ger. V. besteht bei jedem Gerichte eine Staats-
anwaltschaft. Die derselben durch Gesetze und Verordnungen zugewiesenen Geschäfte
werden besorgt:
a) bei dem Oberlandesgerichte: durch den Oberstaatsanwalt;
b) bei den Land= und Schwurgerichten: durch die Staatsanwälte;
c) bei den Amts= und Schöffengerichten: durch die Staatsanwälte und die den land-
gerichtlichen Staatsanwaltschaften beigegebenen Amtsanwälte.
In Forst-, Steuer= und Zollstrafsachen werden die Geschäfte des Amtsanwalts regel-
mäßig von den Bezirksforsteien bezw. Bezirksfinanz= und Bezirkszollbehörden wahrgenommen.
Der Oberstaatsanwalt und die Staatsanwälte werden vom Großherzog aus der Zahl
der zum Richteramte Befähigten, die Amtsanwälte vom Justizministerium thunlichst (seither
regelmäßig) aus der Zahl der zum Richteramte Befähigten ernannt. Sie find nicht
richterliche Beamte#7).
Näheres über die Organisation der Staatsanwaltschaft, ihre inneren Dienstverhält-
nisse 2c. ist in den vom Justizministerium erlassenen „Dienstvorschriften für die Staats-
anwaltschaft“?) enthalten.
5. Die freiwillige Gerichtsbarkeit (Rechtspolizei) ) wird besorgt durch die
Gerichte, in erster Reihe die Amtsgerichte, unter beschränkter Mitwirkung der Staats-
anwaltschaft, und durch die Notare. Die Amtsgerichte besorgen die durch das Landrecht
den Gerichten übertragenen Geschäfte der nicht streitigen Gerichtsbarkeit. Ferner kommt
ihnen eine Reihe von weiteren Geschäften der Rechtspolizei, insbesondere der rechtlichen
Fürsorge für die Einzelnen, der Obervormundschaft, der Beaufsichtigung der Grund= und
Pfandbuchführung u. ä. zu. Bei ihren Gerichtsschreibereien werden gewisse öffentliche Bücher
(für Verlassenschaftssachen und Faustpfandurkunden) geführt.
Die Notare besorgen die Fertigung von öffentlichen Urkunden, insofern sie nicht
anderen Beamten übertragen ist; die Anlegung und Abnahme von Siegeln, die Aufnahme
von Vermögensverzeichnissen, die Theilungen und die Vermögensübergaben, die Fertigung
von Abschriften und Auszügen aus den vorgenannten Geschäften.
Als Notare können nur Diejenigen ernannt werden, die zum Richteramt befähigt find.
Sie sind dem Beamtengesetz unterstehende Beamte.
Hilfsbeamte der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Waisenrichter und die Bürger-
meister; für das Lagerbuchwesen die Bezirksgeometer. Die Grund= und Pfandbuchführung
steht den Gemeinderäthen, in den Städten der Städteordnung besonderen städtischen Grund-
und Pfandbuchführern zu.
6. Als ständige ärztliche Sachver ständige sind für die Amtsgerichte — zugleich
für die Bezirksverwaltungsbehörden — die Bezirksärzte (oder Bezirksassistenzärzte) bestellt,
für die Landgerichte besondere Medizinalreferenten").
1) Angef. Einf. Ges. 8§ 13—15.
2) V. 23. Sept. 1879, G.u. V. Bl. Nr. XLVII, S. 739, mit Ergänzungen vom 20. Okt. 1882,
ury S. Er-, S. 346, 25. Jan. 1885, G. u. V.Bl. Nr. III, S. 30, 27. Febr. 1890, G. u. V. Bl.
3) Gef. v. 6. Febr. 1879, die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Notariat betr., G.u.V.B.
Nr. XI, S. 131 ff., mit seitdem eingetretenen Aenderungen; Rechtspolizeiordnung v. 2. Nov. 1889,
G. u. V. Bl. Nr. XXVII, S. 259; Notariatsordnung vom gleichen Tag, ebendaf. S. 309, abg. 31. Mai
1894. G. u. V. Bl. Nr. XXVIII, S. 261. Waisenrichterordnung v. 30. Okt. 1889, G. u. V. Bl. 1889,
Nr. XXIX, S.427; Dienstweisung dazu v. 2. Nov. 1889, ebendas. S. 433·= S. Hauger, die Rechts-
polizeigesetzgebung für das Großherzogthum Baden, Mannheim 1890. Reutti, C., die freiwillige
Gerichtsbarkeit und das Notariat im Großherzogthum Baden, Tauberbischofsheim 1891.
4) Ldh. Verord. v. 28. Mai 1864, die Stellung der Bezirksstaatsärzte betr., Reg. Bl. Nr. XXIV,