96 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. 49.
lichen Interessen seien die Organe in den Gemeinden bereits vorhanden, zur Pflege derjenigen
Interessen, deren Befriedigung den Rahmen und die Kräfte der Gemeinden übersteigt, seien als
Zusammenfassung der Gemeinden größere korporative Verbände, Kreisverbände, zu bilden.
Anderntheils könne der Staat Geschäfte, welche zu seiner unmittelbaren Aufgabe gehören,
Männern aus dem Volke ehrenamtlich übertragen oder solche daran Theil nehmen lassen. Diese
„Selbstregierung“ — zunächst in den Bezirken — könne aber nicht in der Form der Ausübung
der gesammten Regierungsgewalt, sondern nur in der der Betheiligung an einzelnen Staats-
geschäften geschehen, und zwar zunächst auf dem Gebiete der Entscheidung von Streitigkeiten des
öffentlichen Rechts, außerdem bei einer Anzahl besonders zu bezeichnender Verwaltungshandlungen.
Die Einrichtung von Kreisgemeinden mit eigener Verwaltung und die veränderte Organi-
sation der staatlichen Bezirksverwaltung bedinge auch eine Modifikation in der Organisation
und dem Wirkungskreise der höheren Verwaltungsbehörden. Auch in der höheren Instanz
müsse der Grundsatz der Trennung der administrativ richterlichen Funktionen von der rein poli-
tischen Verwaltung und der staatlichen Aufsicht zur Durchführung kommen.
Für die erstere richterliche Thätigkeit sei ein Verwaltungsgerichtshof zu errichten.
Die Kreisregierungen seien hiernach aufzuheben und die von ihrer seitherigen Zuständig-
keit noch übrig bleibenden Geschäfte theils an eine dem Ministerium unterstehende Centralver-
waltungsbehörde zu überweisen, theils, soweit sie auf die politische Verwaltung und die Staats-
aufsicht über die Gemeinden 2c. sich bezögen und nicht den Bezirksämtern überlassen werden
könnten, von dem Ministerium des Innern zu übernehmen, dabei sei es zweckmäßig, diesem zur
Ueberwachung und häufigeren Untersuchung der öffentlichen Zustände an Ort und Stelle, zur
Anregung und zum Eingreifen — wo nöthig — im Sinne des Ministeriums auswärts woh-
nende Mitglieder — die Landeskommissäre — zur Verfügung zu stellen.
Charakterisch ist hiernach für die Organisation von 1863:
Die scharfe Scheidung von Regierung und Verwaltung der Interessen; innerhalb
der Regierung im weiteren Sinne:
die Trennung von eigentlicher Regierung und Verwaltungsrechtspflege; innerhalb
der eigentlichen Regierung wieder:
auf der unteren Stufe die Einführung der Selbstregierung durch Schaffung der
Bezirksräthe, dagegen auf der oberen Stufe die größere Vereinheitlichung durch die Auf-
hebung der Kreisregierungen, Zuweisung der wichtigeren Zuständigkeiten derselben an das
mit nach Außen zu entsendenden Bevollmächtigten ausgerüstete Ministerium selbst, der
Rechnungsgeschäfte an den Verwaltungshof; innerhalb der Verwaltungsrechtspflege:
vollständig kollegiale Organisation auch auf der unteren Stufe mit volksthümlichen
Elementen, hier allerdings Personeneinheit mit den Trägern der Regierung im engeren
Sinne, auf der oberen Stufe ein mit Berufsbeamten vom Fach besetzter von der Ver-
waltung unabhängiger Gerichtshof;
innerhalb der Selbstverwaltung der Interessen: Schaffung größerer Verbände als
Mittelglieder zwischen Gemeinde und Staat.
Von der Verwaltungsrechtspflege und von den Kreisverbänden wird unten noch
besonders gehandelt werden. Hier ist zunächst die Einrichtung der inneren Verwaltung
darzulegen. Die innere Verwaltung ist hiernach wie folgt organisirt:
1. Das Ministerium selbst besorgt die innere Verwaltung — in den oben be-
zeichneten Thätigkeitsgebieten — für das ganze Land, und zwar in der Art, daß es selbst
beschließt in solchen Angelegenheiten, welche sich auf das ganze Land beziehen — soweit ihre
Erledigung nicht dem Verwaltungshof übertragen ist — und in einer größeren Anzahl
solcher, welche — ihrer sachlichen Wichtigkeit wegen — seiner Entschließung vorbehalten
sind, daß es ferner als obere Instanz die Beschwerden Betheiligter gegen administrative
Entschließungen und Handlungen der dem Ministerium untergeordneten Behörden erledigt
und von Amtswegen die gesammte innere Verwaltung beaufsichtigt ½.
1) Ueber die dem Ministerium des Innern vorbehaltenen Zuständigkeiten s. d. angef. Vollz.
V.O. v. 12. Juli 1864, §§ 13—15; ferner Verord. d. Min. d. Inn. v. 29. Dez. 1871, die Aus-