142 Dritter Abschnitt: Die Kommunalverbände, öffentl. Korporationen u. Stiftungen. § 62.
enthalten in dem II. Konstitutions-Edikt vom 14. Juli 1807, die Verfassung der Gemeinheiten,
Körperschaften und Staatsanstalten betr.!), dem VI. Konstitutions-Edikt vom 4. Juni 1808,
über die Grundverfassung der verschiedenen Stände2), dem Gesetze vom 1. Febr. 1809, über
die Erlangung und Wirkung der Ortssassenrechtes), und der Beilage B zum Organisations-
Reskript vom 26. Nov. 18090).
In den Konstitutions-Edikten war, übereinstimmend mit den früheren Organisations-
Edikten, der geschichtlich überlieferte Unterschied zwischen den Städten und den Landgemeinden
beibehalten; dabei waren den Städten ihre besonderen Verfassungen und Freiheiten, auch die
Landgemeinden, der Hauptsache nach in ihrem seitherigen, verhältnißmäßig freiheitlichen,
Verfassungszustande belassen worden. Die Gemeindeverwaltungsbehörde — der Stadtrath,
Rath, oder das Gericht, mit dem Oberbürgermeister, Bürgermeister, Schultheiß, Vogt oder
Vorgesetzten an der Spitze — wurde zwar von den Bürgern (theils durch den Rath oder das
Gericht selbst, theils durch die Gemeinde) aus den Bürgern gewählt, aber mit Vorbehalt der
Bestätigung, nöthigenfalls Ernennung, Seitens der Staatsbehörde. Die Gemeindeverwaltung
war dieser Gemeindebehörde ziemlich unbeschränkt anheim gegeben, doch unterlagen ihre Be-
schlüsse „dem oberherrlichen Recht der Minderung und Mehrung, um stets im gemeinen Ein-
klang mit dem Staatswohl erhalten werden zu können“. Die Gemeindeverwaltung, sei es in
der Form der Gemeindeversammlung, sei es in der des Ausschusses, trat nur in seltenen Fällen
zusammen. Uebereinstimmend mit diesen Grundsätzen war ausgesprochen, daß die Gemeinden
„als Minderjährige anzusehen seien, und also in Bezug auf ihre Handlungen und auf ihre Ver-
mögens-Verwaltung oder Veräußerung aller derer Rechte theilhaftig seien, welche durch die
Rechtsgesetzgebung — — den Minderjährigen zu gut geordnet sind, und aller diesen zukommen-
den besonderen Staatsvorsorge zu genießen, aber auch alle die besonderen Pflichten der Minder-
jährigen zu erfüllen haben, soweit sie nach ihrer allgemeinen Natur und den besonderen Grund-
gesetzen ihrer Verfassung auf sie anwendbar sind.“
Die Mitglieder der Gemeinde waren — wie überhaupt bis zum Jahre 1832 — entweder
Ortsbürger oder nur Schutzbürger (Hintersassen). Nur den Ersteren stand zu: „Wählbarkeit
zu Gemeindeämtern, Stimmfähigkeit für Gemeindeberathschlagungen, Theilnahme an allen Al-
mendnießungen, Theilnahme an den besonderen Vorrechten und Staatsfreiheiten der Gemeinde
ihres Orts. Die Schutzbürger konnten an jener Wählbarkeit und Stimmfähigkeit nie Theil nehmen,
so lang sie nicht zum Ortsbürgerrecht gelangten, und von den Gemeindenießungen kam ihnen nur
dann Etwas mit zu, wenn durch die Ortsverfassungs-Urkunden oder durch ihre Schutzbriefe ihnen
bestimmt Etwas zugebilligt war“. In Uebereinstimmung mit den geringeren Rechten der Schutz-
bürger war auch die Erwerbung des Schutzbürgerrechtes an leichtere Voraussetzungen geknüpft,
als jene des Ortsbürgerrechts. Besondere Bestimmungen bestanden, wie noch bis in die neuere
Zeit, bezüglich der bürgerrechtlichen Verhältnisse der Israeliten.
Dem im folgenden Jahrzehnt immer dringender hervorgetretenen Wunsche nach einer
Gemeindeordnung kam die Regierung auf dem ersten Landtage im Jahr 1819 durch Vorlage
eines Entwurfes entgegen.
Aber erst auf dem Landtage von 1831 gelang die Vereinbarung, in deren Folge die im
Eingange erwähnten Gesetze vom 31. Dez. 1831 erlassen wurden. Sie gelang freilich erst nach
langem und schwerem Kampfe der verschiedenen Anschauungen und Interessen, bei welchem
nicht blos zwischen Regierung und Kammern oder zwischen der Ersten und Zweiten Kammer,
sondern ebenso innerhalb der Kammern die Gegensätze einander schroff gegenüber standen, und
der nur durch das auf allen Seiten bethätigte redliche Streben nach Verständigung zum erfreu-
lichen Ziele führte.
Die Gesetzgebung von 1831 brachte zwei höchst wichtige Grundsätze zur Durchführung,
den der Gleichberechtigung und den der Selbständigkeit.
Den Grundsatz der Gleichberechtigung führte sie durch einerseits im Verhältniß der Bür-
ger unter sich und gegenüber der Gemeinde, ganz besonders durch die Beseitigung des Unter-
schiedes zwischen Ortsbürgern und Schutzbürgern, anderseits im Verhältniß der Gemeinden zu
einander, durch fast völlige Verwischung des Unterschiedes zwischen Stadt= und Landgemeinden
und unbedingtes Gebieten einer bestimmten Art von Gemeindeverfassung und Gemeindeverwal-
tung. Dabei trat freilich nicht selten an die Stelle der inneren Gleichberechtigung die blos
äußerliche Gleichmachung.
1) Reg. Bl. Nr. XXVI, S. 125. 2) Reg. Bl. Nr. XVIII, S. 145.
3) Reg. Bl. Nr. IX, S. 93. 4) Reg. Bl. Nr. II, S. 419.