Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

172 Vierter Abschnitt: Allgemeine Funktionen der Staatsgewalt. I. Kapitel. § 73. 
Nach der Absicht des 8 24 des Pol. Str.G. B. bezieht sich das dem Polizeigerichte aus- 
drücklich eingeräumte Prüfungsrecht zunächst nur auf solche Verordnungen, die auf Grund 
des Pol.Str.G.B. (bezw. jetzt des R.Str. G. B.) zur Ergänzung des von demselben offen ge- 
lassenen Rahmens erlassen werden wollen, nicht aber auch auf solche, mit welchen die Re- 
gierung die ihrem Verordnungsrecht gezogenen Grenzen überschreitet. In dieser Beziehung, 
wie auch bezüglich anderer Gebiete, sollte die Frage des richterlichen Prüfungsrechtes offen 
gelassen werden. Nachdem aber in der oben bezeichneten Ausdehnung für das eine, wenn 
auch immerhin eigenthümliche Gebiet des Polizeistrafrechtes das Gesetz das richterliche Prü- 
fungsrecht ausdrücklich anerkannt hat, die Anerkennung des nämlichen Grundsatzes für das 
Verhältniß zwischen Reichsrecht und Landrecht unabweisbar ist, ist kein genügender Grund 
mehr vorhanden, weshalb der Richter nicht auch allgemein für befugt und verpflichtet er- 
achtet werden sollte, zu prüfen, ob die Verordnungen, deren Anwendung von ihm verlangt 
wird, rechtsgiltig erlassen sind, d. h. dem anderwärts bekannt gegebenen unzweifelhaften 
Staatswillen entsprechen. Eine ausdrückliche Bestimmung steht der Bejahung dieser Frage 
nicht entgegen. Sie muß daher, nach der Natur des Staatswillens und der Aufgabe des 
Richteramts in Uebereinstimmung mit der Praxis bejaht werden. 
§ 73. V. Zeitliche und örtliche Wirksamkeit der Gesetze. 1. Zeitliche Wirksamkeit. 
A. Beginn der Wirksamkeit. Gesetze und Verordnungen treten, falls in denselben der 
Tag des Beginnes ihrer Wirksamkeit ausdrücklich bestimmt ist, mit diesem Tage — der 
auch vor dem Tage der Verkündigung liegen kann — in Wirksamkeit. Ist dieser Tag 
nicht ausdrücklich bestimmt, so gilt Folgendes: 
a) für Gesetze und Verordnungen, die vom Reiche ausgehen, ist das Reichsstaatsrecht 
maßgebend. 
b) Landesgesetze werden wirksam, d. h. rechtlich als Gesetze bestehend mit der Mög- 
lichkeit, als Rechtsnorm zu dienen, durch die Verkündung Seitens des Staatsoberhauptes. 
Aus dieser Wirksamkeit ergibt sich 
a)daß von diesem Zeitpunkte das Gesetz nur im ordentlichen Wege der Gesetzgebung 
abgeändert oder wiederaufgehoben werden kann; 
6) die Befugniß (vorerst nicht auch Pflicht) der Staatsangehörigen, ihre Rechts- 
beziehungen nach demselben zu ordnen, soweit diese Beziehungen nicht ihrer Privatwillkür 
entzogen sind. 
Die Gesetze werden verbindlich, d. h. sie müssen befolgt werden, von dem Augen- 
blick an, da ihre Verkündung bekannt sein kann. 
Diese soll als bekannt angenommen werden: in dem Untergerichtsbezirk, in welchem 
die Staatsregierung ihren Sitz hat, einen Tag nach der Verkündung; 
in einem jeden der übrigen Bezirke nach Verlauf jenes einen Tages und so vieler 
weiterer, als vielmal zehn Stunden der Hauptort des Bezirks von dem Ort entfernt ist, 
von welchem die Verkündung ausgeht 7). 
Für Verordnungen gelten die gleichen Grundsätze mit der Besonderheit, daß, wenn 
der Inhalt einer Verordnung nicht schon als Vorschlag in Folge einer öffentlichen Ver- 
handlung hat allgemein bekannt sein können, eine Erstreckung der Frist um 30 Tage eintritt ). 
B. Zeitlicher Umfang der verbindenden Kraft der Gesetze und Verord- 
nungen. Sobald irgend ein thatsächliches Verhältniß entsteht, kann es als Rechtsver- 
# 1).L.R. S. 1. Bruchtheile der Entfernung von 10 Stunden kommen nicht in Betracht. Auch 
ist der Beweis, daß das Gesetz in einem gewissen Bezirk (nicht auch einer einzelnen Person) aus be- 
sonderen Gründen in der gesetzlich angenommenen Zeit nicht habe bekannt werden können, nicht 
ausgeschlossen. Behaghel I, S. 39. 
2) L. R. S. a.
	        
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