Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

8 73. Zeitliche und örtliche Wirksamkeit der Gesetze. 173 
hältniß unter die Herrschaft keines anderen Gesetzes treten, als desjenigen, welches gerade 
in diesem Augenblick überhaupt herrscht. Dadurch erlangt es ein bestimmtes rechtliches Ge- 
präge. Dieses ist nur in soweit einer Aenderung durch Aenderung des Staatswillens fähig, 
als das dem Rechtsverhältniß unterliegende thatsächliche Verhältniß nicht ein in sich ab- 
geschlossenes, fertiges, ist. Es muß angenommen werden, daß jedes Gesetz, so lange es be- 
stand, den gerade vorhandenen Verhältnissen entsprechend war und dieselben vollständig be- 
herrscht hat, daß jede Aenderung der Gesetzgebung nur eine, durch Aenderung der thatsächlichen 
Verhältnisse gebotene, Entwickelung des staatlichen Willens, nicht eine Zurücknahme, d. h. 
Unrichtigerklärung einer früheren Willensäußerung ist!). Die badische Gesetzgebung hat 
diese Grundsätze ausdrücklich anerkannt. Das Gesetz verfügt nur für die Zukunft; es hat 
keine rückwirkende Kraft 2), d. h. das Gesetz übt keinen. Einfluß auf Rechtsverhältnisse, welche 
bereits unter der Herrschaft eines früheren Gesetzes zun chtlichen Abschlusse gelangt sind. 
„Seine Verfügung hat stets die stillschweigende Bedingung, daß der Wille des Ge- 
setzgebers zur Zeit, wo die Anwendung in Frage kommt, noch unabgeändert bestehe“. „Künf- 
tige Folgen einer vergangenen Begebenheit, wozu ein früheres Gesetz das Recht gegeben 
hatte, kann ein späteres ändern, ohne rückwirkend zu sein, so lang es nur noch zwischen 
eintritt, ehe der Fall entsteht, der die Folgen erzeugt“ 3), d. h. wenn und soweit ein Rechts- 
verhältniß ein noch nichts abgeschlossenes ist, wird es nach dem neuen Gesetze beurtheilt, 
auch ohne daß dieses sich für rückwirkend erklärt. 
Als abgeschlossen aber ist ein Rechtsverhältniß dann zu betrachten, wenn das Ge- 
setz bestimmt hat, daß unmittelbar aus dem Vorhandensein gewisser Thatsachen gewisse 
Rechtsfolgen sich ergeben sollen, und nun im einzelnen Falle der ganze thatsächliche Be- 
stand der vorausgesetzten Thatsachengestaltung vorhanden ist. Das so abgeschlossene Ver- 
hältniß wirkt alsdann mit denjenigen Rechtsfolgen, welche die zur Zeit der Gestaltung 
desselben herrschende Gesetzgebung an dasselbe geknüpft hatte, auch unter der Herrschaft des 
neuen Gesetzes soweit und solange fort, als dies ohne Hinzutreten neuer Thatsachen möglich 
ist!). Nach der Natur der Sache müssen in dieser Weise abgeschlossene Verhältnisse viel 
häufiger auf dem Gebiete des Privatrechtes vorkommen als auf dem des öffentlichen Rechtes. 
Anthentische, d. h. durch den Gesetzgeber selbst gegebene Erklärungen der Ge- 
setze sind nicht sowohl neue Willenserklärungen des Gesetzgebers, als Erläuterungen dessen, 
was er früher ausgesprochen. Ihre Anwendung auf, noch nicht endgiltig abgeurtheilte, 
1) Behaghel a. a. O. 8§ 16; Barazetti F 16. 
2) L. R. S. 2. 3) L. R. S. 2 a u. 2b. 
4) Näheres hierüber, insbesondere für das Gebiet des badischen Privatrechtes s. bei Behaghel 
a. a. O. u. insbes. Barazetti a. a. O. § 16. Zu dem Begriffe eines abgeschlossenen Rechtsverhält- 
nisses wird nicht etwa verlangt, daß es nicht mehr rechtlich fortwirke, sondern nur, daß es zur Er- 
zeugung der ihm eigenthümlichen Rechtswirkungen keiner neu hinzutretenden Thatsachen mehr bedürfe. 
Die Staatsangehörigkeit z. B. wird durch ganz bestimmte Vorgänge begründet, d. h. sobald 
einer der vom Gesetze bezeichneten Vorgänge vorliegt, ist die Staatsangehörigkeit vorhanden. Dieses 
Rechtsverhältniß ist somit ein abgeschlossenes. Die Frage, ob Jemand Staatsangehöriger geworden 
ist, muß daher nach demjenigen Gesetze beurtheilt werden, welches zu der Zeit in Geltung war, als 
Jemand Staatsangehöriger geworden sein soll. Das Gleiche gilt von der Frage des Verlustes der 
Staatsangehörigkeit. So wird die Staatsangehörigkeit zugleich zur persönlichen Eigenschaft. Da- 
gegen fsind die aus dem Staatsangehörigkeits-Verhältniß fließenden Rechte und Pflichten keine der- 
Person eigenthümlichen Rechts-Eigenschaften, sondern nur die Formen und Voraussetzungen, unter 
welchen der Staat die Mitwirkung seiner Angehörigen für seine Zwecke zuläßt, bezw. in Anspruch 
nimmt. Diese Verhältnisse find sonach nothwendig wechselnde und rechtlich stets nach derjenigen Gesetz- 
gebung zu beurtheilen, welche zu der Zeit in Geltung ist, da diese Mitwirkung vorzunehmen ist. 
Wahlberechtigung und Wählbarkeit, Fähigkeit und Verpflichtung zu öffentlichen Diensten als Bezirks- 
rath, Geschworener, Schöffe, Steuerpflicht und Steuerfreiheit, Wehrpflicht 2c. 2c. richten sich daher 
stets nach der Gesetzgebung derjenigen Zeit, in welcher das Recht auszuüben, die Pflicht zu erfüllen ist. 
Die nämlichen Grundsätze gelten für das Verhältniß zwischen öffentlichen Korporationen (Ge- 
meinden, Kirchen 2rc. 2c.) und ihren Gliedern.
	        
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