176 Vierter Abschnitt: Allgemeine Funktionen der Staatsgewalt. II. Kapitel. 8 76.
II. Kapitel.
Die Vollziehung.
§ 76. I. Allgemeine Bemerkung. Auf die unmittelbare Verwirklichung des Staats-
willens an den thatsächlich vorhandenen einzelnen Lebensverhältnissen ist die voll-
ziehende Thätigkeit der Staatsorgane gerichtet. Sie ist also einerseits, soweit für den
Fall des Eintretens gewisser thatsächlicher Gestaltungen der Staatswille schon zum Voraus
durch die Gesetzgebung — im weiten Sinn des Wortes — kundgegeben ist, Ausführung
dieses Willens, anderseits, soweit dies noch nicht der Fall, eine aus eigener Initiative der
Regierung hervorgehende, auf die Verwirklichung der Staatszwecke gerichtete Thätigkeit.
Ihrem Gegenstande nach ist diese Thätigkeit verschieden, obgleich im Ganzen ein-
heitlich gedacht und einheitlich geleitet. Zunächst kann sie darauf gerichtet sein, die be-
stehenden Zustände festzustellen, zu beurkunden, zu verzeichnen und zu veröffentlichen, um
sonach für das aktive Eingreifen des Staates eine sichere thatsächliche Grundlage zu gewinnen.
Dieses aktive Eingreifen hat als erste Aufgabe die Erhaltung der Harmonie unter
den im Staate vorhandenen Persönlichkeiten, das ist: der Rechtsordnung. Die staatliche
Thätigkeit ist hier wieder eine verschiedene: sie sucht entweder Verletzungen der Rechts-
ordnung vorzubeugen oder sie stellt die Rechtsordnung, wenn sie verletzt worden, wieder
her. In der ersteren Richtung übt der Staat durch seine Organe eine Handlung der für-
sorgenden Thätigkeit, der Polizei, aus. Gegenüber den bereits geschehenen Verletzungen der
Rechtsordnung besteht die Thätigkeit des Staates — die Rechtspflege — in der Wieder-
herstellung derselben durch ausdrücklichen Ausspruch des zuständigen Organes — des Richters
— darüber, was in Beziehung auf das in Frage liegende Verhältniß der wahre Staats-
wille sei und — gegenüber von strafbaren Handlungen — durch Zuerkennung und Vollzug
des verdienten Uebels — der Strafe.
Neben der Aufrechthaltung der Rechtsordnung, als nothwendiger Schranke des Einzel-
willens, stellt sich der Staat auch die Aufgabe, die Entwickelung der einzelnen Persönlich-
keiten in ihrem Streben nach Erreichung ihrer Lebensziele positiv zu fördern, theils durch
Hinwegräumung der Hindernisse, welche der Entwickelung der einzelnen Persönlichkeit ent-
gegenstehen, theils durch Sammeln und Leiten zerstreuter Einzelkräfte zu dem gemeinsamen
Ziele, theils durch eigenes Eingreifen Seitens der Staatshilfe. Der Staat, durch seine
Vollzugsorgane, kann diese fürsorgende, verwaltende Thätigkeit für alle diejenigen Ge-
biete der menschlichen Thätigkeit üben, welche nach den Bedürfnissen und Anschauungen des
Volkes und Zeitalters als der staatlichen Förderung würdige Bestrebungen erscheinen.
Zur Erreichnung der Staatszwecke in den vorbezeichneten Richtungen bedarf der Staat
wirthschaftlicher Mittel. Sie zu schaffen und zu verwalten, ist die Aufgabe der Finanz-
verwaltung. Er bedarf ferner zur Vermittlung der Beziehungen zu anderen Staaten einer
Vertretung nach außen, endlich zu seiner Vertheidigung der bewaffneten Macht. So gruppirt
sich, nach ihren Zwecken, die Thätigkeit der Vollziehung folgendermaßen: "
1) Feststellung des thatsächlichen Zustandes; 2) Erhaltung der Rechtsordnung;
3) innere Verwaltung; 4) Finanzverwaltung; 5) Verwaltung der auswärtigen Angelegen-
heiten; 6) Verwaltung der Militärangelegenheiten.
Die unter 1 bezeichnete Thätigkeit vertheilt sich auf die verschiedenen übrigen Thätig-
keitsgruppen, die unter 5—6 genannte kommt in Baden in Folge seiner Zugehörigkeit
zum Deutschen Reiche nur in wenig erheblichem Maße in Betracht.
Die Methode der Vollziehungsthätigkeit ist innerhalb dieser Gruppen nicht durchweg
die nämliche. Jede Thätigkeit der Vollziehung soll zwar eine gesetzliche sein, d. h. sie soll