Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

878. Das staatliche Zwangsrecht gegen das Vermögen. 179 
Der oben erwähnte § 14 der Verf. Urk. gewährleistet aber nicht nur den Schutz des 
Eigenthums gegen willkürliche Vergewaltigung, sondern er enthält auch die Anerkennung, 
daß das öffentliche Wohl unter Umständen einen Eingriff in das Privateigenthum fordern 
könne, daß in einem solche Falle das öffentliche Wohl dem Einzelrechte und Einzelinter- 
esse vorgehe, daß aber die Frage, ob die Ausübung des hiernach dem Staate zustehenden 
Nothrechtes geboten sei, kn einem gesetzlich geordneten Verfahren entschieden und für den 
Eigenthumseingriff Entschädigung gewährt werden müsse. 
Hinsichtlich dieses Staatsnothrechtes und der Pflicht, sich die Entziehung des Eigen- 
thums gefallen zu lassen, ist Folgendes Rechtens: 
A. Im Allgemeinen. I. Abtretungspflicht. Abgesehen von Nothfällen, in wel- 
chen, wie im Kriege oder bei einem Brande oder bei Wassergefahren, ein augenblicklicher 
Angriff oder eine unverschiebbare Wegnahme fremden beweglichen oder unbeweglichen Eigen- 
thums nothwendig geworden ist 1, ist ein Zwang gegen einen Eigenthümer zur Abtretung 
überhaupt nur zulässig: 
1. hinsichtlich unbeweglichen Eigenthums oder anderer auf unbewegliche Sachen be- 
züglichen Rechte; 
2. aus Gründen des öffentlichen Nutzens; als öffentlich gilt der Nutzen der Unter- 
nehmungen, für welche die Abtretung gefordert wird, nicht nur, wenn er dem Staat un- 
mittelbar, sondern auch, wenn er demselben bloß mittelbar, zunächst oder unmittelbar 
aber einer Staatsanstalt oder einer oder mehreren Gemeinden zu gut kommt. Gleichgiltig 
ist hierbei, ob das Unternehmen von der Verwaltungsbehörde selbst oder im Auftrage oder 
Interesse derselben durch Privatpersonen oder Gesellschaften ausgeführt oder betrieben wird. 
Letzterenfalls treten diese Privatpersonen oder Gesellschaften mit ihren auf die Zwangs- 
abtretung bezüglichen Rechten und Verbindlichkeiten vollständig an die Stelle der Verwal- 
tungsbehörden; 
3. gegen vorausgegangene Entschädigung; 
4. in den Formen des vom Gesetze genau vorgezeichneten Verfahrens. Wird hierbei 
über die Abtretung selbst ein Einverständniß nicht erzielt, so beschließt über die Verbind- 
lichkeit zu solcher das Staatsministerium, also die höchste politisch verantwortliche Staats- 
verwaltungsbehörde. Ueber die Frage der Entschädigung entscheidet im Streitfalle der 
ordentliche bürgerliche Richter). 
II. Feststellung der Verbindlichkeit zur Abtretung. Bei dem die Feststellung 
der Verbindlichkeit zur Abtretung bezweckenden Verfahren sind drei Stadien zu unterscheiden: 
1. Das Vorverfahren. Es besteht im Wesentlichen darin, daß diejenige Verwaltungs- 
behörde, welche die Abtretung begehrt, dem Bezirksamt, in dessen Bezirk die zur Abtretung 
bezeichneten Güter gelegen sind, einen dieselben, bezw. die abzutretenden Berechtigungen 
sowie die Eigenthümer, Nutzeigenthümer, Inhaber der Berechtigungen rc. darstellenden Plan 
nebst Grundbuchsauszug, unter Benennung der von ihr gebotenen Preise übergibt, das 
Bezirksamt sofort Tagfahrt zur Prüfung und Begutachtung des Abtretungsgesuches durch 
die Kommission anordnet, hierzu wenigstens acht Tage zuvor durch den Bürgermeister des 
Ortes der gelegenen Sache sowohl die im Orte anwesenden Betheiligten besonders, als all- 
gemein öffentlich alle etwa Betheiligten durch öffentliche Bekanntmachung einladen läßt, 
inzwischen aber der Plan auf dem Rathhause zu Jedermanns Einsicht aufliegt J. 
2. Das Begutachtungsverfahren. In der angeordneten Tagfahrt erforscht und 
prüft eine besondere Kommission alle Verhältnisse, von welchen das Urtheil über die Noth- 
1) Zw.. AG. § 94. 2) Das. S§ 1—3, 92. 
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