Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

8 155. Die rechtliche Stellung der evangelisch-protestantischen Landeskirche. 327 
Die Verfassung der evangelisch-protestantischen Kirche ist durch ein staatlich geneh- 
migtes kirchliches Gesetz vom 5. Sept. 1861 0 festgestellt. Die Grundzüge derselben sint 
folgende: 
I. Im Allgemeinen. Die evangelischprotestantische Kirche des Großherzogthum? 
bildet einen Theil der evangelischen Kirche Deutschlands und in sich selbst ein organisches 
Ganze, das, von seinen Urbestandtheilen ausgehend, die vereinzelte Wirksamkeit derselben 
in immer umfassendere Kreise vereinigt. 
Sie ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten durch ihre eigenen Organe frei und 
selbständig, unbeschadet der Rechte des Staates, wie solche durch die Staatsgesetze festgestellt 
sind. Der evangelische Großherzog hat als Landesbischof das den evangelischen Fürsten 
Deutschlands herkömmlich zustehende Kirchenregiment und übt dasselbe nach den Bestim- 
mungen der Kirchenverfassung aus. 
II. Die Gemeinden und ihre Vertretung. A. Die Kirchengemeinde. 
1. Die vereinigte evangelisch-protestantische Kirche des Landes besteht aus Kirchen- 
gemeinden, deren räumlicher Umfang das Kirchspiel ist. Jedes Mitglied der Landeskirche 
hat die Pflicht zur Tragung der kirchlichen Lasten und Uebernahme kirchlicher Ehrenämter?). 
Der dauernde Aufenthalt innerhalb des Kirchspieles begründet für jedes Mitglied der ver- 
einigten evangelisch-protestantischen Kirche die Einpfarrung und damit die Theilnahme an 
den Pflichten und Rechten eines Gemeindegenossen. Jedes Mitglied der Gemeinde hat An- 
theil an den kirchlichen Anstalten und Gerechtsamen, Stimmrecht in der Gemeindeversamm- 
lung und Wählbarkeit in die Vertretung der Kirche. Auch solchen, die das badische Staats- 
bürgerrecht nicht besitzen, kann nach einjährigem Aufenthalt in der Gemeinde von der 
Kirchengemeindeversammlung das Stimmrecht und die Wählbarkeit, jedoch nur für kirch- 
liche Gemeindeämter, ertheilt werden. 
Jede Gemeinde hat ihre Angelegenheiten innerhalb der gesetzlichen Grenzen selbst zu. 
verwalten. Sie übt ihre Befugnisse aus durch die Kirchengemeindeversammlung und durch 
den Kirchengemeinderath. 
2. Die Kirchengemeindeversammlung besteht aus den Mitgliedern des Kirchen- 
gemeinderathes und einer Anzahl von sämmtlichen stimmberechtigten Gemeindegliedern aus 
ihrer Mitte gewählten Vertretern und zwar — je nach Anzahl der Stimmberechtigten — 
in der Zahl von 20—80. 
Stimmberechtigt und wählbar sind alle selbständigen Männer der Kirchengemeinde, 
welche das 25. Jahr vollendet haben und nicht aus den vom Gesetz bezeichneten Gründen 
vom Stimmrecht ausgeschlossen sind. Die Vertreter werden auf sechs Jahre gewählt. Je 
nach Jahren tritt die Hälfte aus. 
Die Kirchengemeindeversammlung nimmt insbesondere die Wahlen der Kirchenältesten 
vor und wirkt bei der Besetzung der Pfarrstellen nach Maßgabe des Gesetzes mit. Ihr 
steht die Entscheidung über gewisse Beschwerden zu. Ferner können ohne ihre Zustimmung 
die Beschlüsse des Kirchengemeinderathes über eine Reihe von wichtigeren Gegenständen 
(Grundstocksveränderungen, Voranschläge, Beschaffung der zu den kirchlichen Bedürfnissen 
erforderlichen Mittel 2c.) nicht zum Vollzug kommen. Die Verhandlungen find in der Re- 
gel öffentlich. 
3. Der Kirchengemeinderath besteht aus dem oder den ein Pfarramt verwaltenden 
Geistlichen und mehreren zu Kirchenältesten gewählten Gemeindegliedern. Das Amt eines 
Aeltesten ist ein Ehrenamt. Die Zahl derselben richtet sich nach der Größe der Kirchen- 
1) Reg. Bl. 1861, Nr. XLIII, S. 535, mit einzelnen späteren Aenderungen. 
2) Also auch die zur Diaspora Gehörigen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.