§ 35. Festsetzung der Staatseinnahmen. 63
und sind diese Ausgaben nicht von der Art, daß es gerechtfertigt erschiene, dieselben vor-
erst durch ein Anlehen zu decken und die Tilgung desselben auf eine Reihe von Jahren
zu vertheilen, somit bei derselben auch die zukünftige Generation zu betheiligen, so ist die
Nothwendigkeit gegeben, zur Deckung des Restes die Steuerkraft des Volkes mit „Auf-
lagen“ in Anspruch zu nehmen. Diese „Auflagen“, die staatlichen Steuern im engeren
Sinne, tragen somit einen lediglich subsidiären Charakter, d. h. die Regierung soll sie
nicht in Anforderung bringen, die Stände sollen sie nicht bewilligen, ohne daß sie noth-
wendig sind. Wesentlicher Zweck des den Ständen jeweils mit dem Vorschlag über die zu
erhebenden Steuern vorzulegenden Budgets ist die Nachweisung der Nothwendigkeit der
„Auflagen“.
Um diese Nothwendigkeit sicher bemessen und entsprechend beschließen zu können, er-
folgt die Bewilligung der Steuern, überhaupt die Feststellung des Staatshaushalts-Etats
nur periodisch und zwar regelmäßig für zwei Jahre. „Solche Auflagen jedoch, mit denen
auf längere Zeit abgeschlossene Verträge in unmittelbarer Verbindung stehen, können vor
Ablauf des betreffenden Kontraktes nicht abgeändert werden 7).“
Die Erhebung von Steuern ist, mit den unten zu erwähnenden Ausnahmen, an
die Zustimmung der Stände gebunden. Diese können die Zustimmung zwar nicht an Be-
dingungen knüpfen, aber sie können sie bedingungslos verweigern?.
Die bloß periodische Festsetzung bezieht sich nur auf die Bewilligung der Erhebung
der Steuern und auf das Maß derselben (den Steuerfuß). Im Uebrigen sind die ein-
zelnen Arten der Steuern durch besondere, für die Dauer gegebene Gesetze geregelt 5).
Das mit den Ständen vereinbarte Ergebniß der Ausgabe= und Einnahmefest-
stellung und die durch Schlußfolgerung aus demselben sich ergebende Ermächtigung der
großherzoglichen Regierung zur Steuererhebung wird in einem „Gesetze, die Feststellung
des Staatshaushaltsetats für die Jahre N. N. betr.“ zusammengestellt“).
Ausnahmsweise darf die großherzogliche Regierung in folgenden Fällen auch
ohne ständ ische Bewilligung Steuern erheben:
1) V. U. § 54. Hierbei wird vorausgesetzt, daß die betreffende Steuer ganz speziell zu einem
einzelnen Zwecke bestimmt ist, den zu ändern, nicht einseitig dem Staate zusteht.
2) Aus dem bestimmten Wortlaut des § 53 d. V. U., wornach die Regierung keine Auflage
ohne Zustimmung der Stände erheben darf, und aus dem Begriffe der Zustimmung folgt mit Noth-
wendigkeit, daß die Stände rechtlich befugt sind, die Steuerbewilligung zu verweigern und zwar selbst
dann, wenn die Nothwendigkeit einer Steuererhebung durch das Staatsbudget angeblich dargethan
sein sollte. Denn eben über diese Frage der Nothwendigkeit, wenn die Stände sie nicht gelten lassen
oder derselben keine Folge geben wollen, giebt es zwischen ihnen und der Regierung keinen Richter,
sondern nur den Weg der Vereinbarung. Ob die Stände politisch klug oder sittlich recht handeln,
wenn sie auch nothwendige Steuern verweigern, ist hier nicht zu untersuchen und richtet sich nach
den Verhältnissen des einzelnen Falles. Zur Lösung des Konfliktes stehen der Regierung zwei Wege
offen: Auflösung der Stände (vgl. V. U. § 62) und Ministerwechsel. Bis zur Lösung darf die Re-
gierung, nachdem die in V. U. § 62 bezeichnete Frist von sechs Monaten verflossen, keine nicht be-
willigten Abgaben, nur die von der periodischen Bewilligung unabhängigen Einnahmen erheben und
hat hiernach ihre Ausgaben einzurichten. Jede Ueberschreitung dieser Schranke, auch die vielleicht
politisch nothwendige, setzt die Minister der Verantwortung wegen Verfassungsverletzung aus. Aber
diese Verantwortung wird insoweit jedenfalls mit gutem Gewissen getragen werden können, als es
sich um die Deckung von Ausgaben handelt, zu welchen der Staat in dem oben erörterten Sinne
verpflichtet ist, oder um solche, die unbedingt nothwendig sind zur geordneten Fortführung der
Staatsverwaltung oder gar zum Schutze des Staates.
3) In dieser Beziehung bedarf es somit keiner neuen periodischen Vereinbarung. Das be-
treffende Steuergesetz gilt, auch wenn die Stände dessen Beseitigung oder Aenderung wünschen sollten,
so lange, bis es auf gesetzlichem Wege aufgehoben oder abgeändert ist. Nur auf die Erhebung
der Steuer kann sich die etwaige Nichtbewilligung beziehen.
4) Die Summen der Ausgaben und Einnahmen sind in einer Beilage nach den einzelnen
Ministerien und hier nach Titeln entziffert. Einer der Gesetzes-Artikel enthält die Bestimmung, daß
die dermalen bestehenden Abgabegesetze in Kraft bleiben, oder die Bezeichnung der mit den Ständen
vereinbarten Aenderungen.